Ich war nie in einem Schützenverein. Ab und an hatte ich mich mal auf so Veranstaltungen betrunken, aber wirklich fasziniert davon war ich nie. Doch dann kam das erste Juliwochenende 2015 und alles wurde anders. Zumindest soweit ich mich erinnere.
Wer nicht genau weiß, was ein Schützenfest ist… puh. Das Ganze ist tatsächlich schwer zu erklären. Ich habe das schon mal versucht, einer Freundin aus Berlin zu vermitteln, was nur zu merkwürdigen Rückfragen führte: „Also das deutsche Militär macht bei Euch eine Feier?“ „Ist das dann so etwas wie eine private Miliz, die die Region verteidigen wollen? Sowas gibt’s in Deutschland?“ „Und das sind alles gut ausgebildete Scharfschützen?“. Nein. Nein. Und nochmal nein.
Ein Schützenverein am Niederrhein hat sich üblicherweise voll und ganz der Brauchtumspflege verschrieben.
So kam es auch, dass ein Schulfreund von mir, nennen wir ihn Flanko, im Frühjahr 2013 mit 100 Promille entschied „Ach, leck mich, ich schieß dat Ding jetzt ab. Wat sollet denn?“. Dadurch war die Majestät für die folgenden 2 Jahre bestimmt und auch klar, wer die Hoheit über das Schützenfest im Jahr 2015 haben wird. Aus Schau- und Trinklust entschied ich mich mit einem weiteren Freund, nennen wir ihn Julius, dort teilzunehmen.
Auf geht’s, ab geht’s, drei Tage wach
Also flott Urlaub eingereicht, in der billigsten Pension des 600-Einwohner-Ortes eingemietet, Stange Kippen gekauft und ab geht die wilde Fahrt. Julius und ich haben an diesem Wochenende eine Art Sonderrolle. Wir sind quasi die Gefolgsleute des Königs. Stehen immer etwas am Rand, förmlich in der Unschärfe, aber machen alles mit.
So auch die üblichen Antrittsbesuche des Königs am Freitagabend bei den verschiedenen Zügen.
Jetzt denkt man, da findet wunder was statt. Das ist auch schon ein Grundprinzip des Schützenfestes. Für alles möglichst hochgestochene Formulierungen. Letztendlich ist das nix anderes, als dass Flanko mit seinen Ministern von Garage zu Garage tingelt und ein paar eiskalte Stubbis abgreift. Julius und ich hinterher. „Hier, die Jungens haben mit mir Abitur jemacht, jibt denen mal Bier“. Und so werde ich an den verschiedensten Garagen mit dem allseits beliebten, niederrheinischen Gruß „Pils oder Alt?“ begrüßt. Für mich Bolten, für Julius Bit. Joa, nen Kümmerling nehmen wir auch. Und so trinken wir uns durchs Neubaugebiet, bis wir irgendwann feststellen, dass unsere Pension direkt ums Eck ist. Also, polnischer Abgang, ab ins Bett, richtig los geht’s es ja erst morgen.
Samstag – Offizieller Startschuss
Tradition wird hier hochgehalten. Darum geht’s jetzt erstmal mit dem gesamten Marsch zum Totengedenken am Dorfstein. Bei bescheidenen 35 Grad im Schatten reicht die Dorfbevölkerung am Wegesrand Erfrischungsgetränke. Hier funktioniert die Solidargemeinschaft.
Wenig später finden wir uns im Schützenzelt ein. Recht schnell wird mir klar, wie dieses Wochenende hier zu laufen hat. Julius und ich sitzen hinter dem König, quasi leicht verdeckt, halten uns komplett zurück und werden in den entscheidenden Momenten uns mit gezielten Handgriffen in Richtung Tablett mit Getränken versorgen, wenn eine Runde Bier zum Königstisch kommt.
Und dann sitzen wir da. Und trinken. Hören Blasmusik. Sitzen. Und trinken. Also, viel mehr passiert wirklich nicht. Hin und wieder setzen sich andere Bekannte zu uns, trinken einen mit, wir stoßen nochmal mit dem König an, essen vor der Tür ’ne Bamischeibe mit Pommes-Rot-Weiß, setzen wir uns wieder hin und trinken paar Bier.
Livemusik im Garten! Ufftada! Ufftada! Uffta, Uffta, ufftada
So fliegt der Samstag so dahin. Das Zelt leert sich. Der „Klompenball“ am Samstag ist üblicherweise schon gegen 21 Uhr zu Ende. Doch was dann? Werden wir etwa trocken laufen?
Nein! Weit gefehlt! Und folgendes hat sich tatsächlich so ereignet: Gegenüber vom Schützenzelt wohnt nämlich der lokale Getränkemarktbesitzer, der sich kurzerhand entschließt, die gesamte Festgemeinschaft samt Blaskapelle in seinen Garten eingeladen. Dort werden jetzt Eier gebraten. Bit Stubbi dazu, traumhaft!
Der Sonntag – Wer früh aufsteht, kann früh fröhlich sein!
Am heutigen Tag erwartete uns der Frühschoppen. Wir kommen natürlich zu spät. Als unerfahrene Schützenfestgäste brauchen wir ausreichend viel Nachtschlaf, um uns auch Tag für Tag wieder zuschütten zu können. Naja, Frühschoppen geht am Niederrhein glücklicherweise nahezu ganztätig.
So sitzen wir da, als Ehrengäste natürlich zwischen Bürgermeister und Dorfpfarrer, rauchen Kette und trinken das allseits beliebte Bit und Bolten in 0,33er Stubbi bzw. Plöpp-Flaschen. Dazu führt die Blaskapelle lustige Spielchen auf. Den Brikettpolka kriege ich jedenfalls erstmal nicht aus’m Ohr.
Erinnerungen verschwimmen
Eigentlich ging das Schützenfest noch zwei weitere Tage, mir fehlen hier aber absolut die Erinnerungen, um das vereinzelt nacherzählen zu können. Es blieb eigentlich bei Frühschoppaktivitäten und Suff im Zelt. Wobei letzteres unter verschiedenen Bezeichnungen. Highlight des König-Gala-Balls war jedenfalls, wie unser Herbergsmutter und ein Straßenbaufacharbeiter aus der Balkanregion ineinander versunken. Hier findet wirklich jeder Topf seinen Deckel. Liebe für alle.
So rast die Zeit dahin und schon ist Dienstagabend und ein neuer König schießt den Vogel ab. Daher kommt also diese Redensart. Der Abend klingt gemütlich im Wachlokal (eine Scheune) aus. Hier erlebe ich noch ein persönliches Highlight. Ein Mädel, etwa Anfang 20, setzt sich für eine Zigarette zu mir. Wir alle sind vom Suff gezeichnet. Plötzlich kommt die Obermutti und schreit das Mädel an „Hömmall. Kann dat sein, dat hier alle Mädels ausm Ort Eier braten für die Jungens und du sitzt hier und rauchst? Du weißt doch janz jenau, dat die Jungens Hunger haben, wenn die besoffen sind.“
Uff. Nach 5 Tagen Brauchtumssuff kann auch ich mir ein „Hier ist die Welt noch in Ordnung“ nicht verkneifen. Und da ist auch schon soweit, Julius und ich hören, wie am Nachbartisch die Sätze „die Jungens sind echt in Ordnung“ und „vielleicht mal vorläufige Mitgliedschaft, die kommen ja nit von hier“ gesagt werden. Also gibt’s nur eins.
Polnischer Abgang. Weg hier. Ab ins Bett. Vielleicht ja bis irgendwann, wenn es wieder heißt:
„Hundertfuffzich Mann un en Fahn föhr et an
un de Musik fängk mem Schneewalzer an.
Op ener Kutsch mit zwei Pääd
sitz d’r Künning drin un säät:
eins, Zwo, drei, schießen macht uns frei!
Jrön jrön jrön steht dem Schötzejunge schön,
jrön jrön jrön steht dem Schötzejunge schön.“
Es war doch schön – oder etwa nicht?
VG
ich fands klasse