Eine Liebeserklärung an den polnischen Abgang

Ich liebe den polnischen Abgang. Wer nicht weiß, was das ist, guckt bitte sofort bei Wikipedia und gibt anschließend einen Daumenhoch bei Facebook.
In anderen Sprachen ist für gleiches Verhaltensmuster auch „the irish goodbye“ oder „filer à l’anglaise“ üblich, ich bevorzuge aber die Formulierung „polnischer Abgang“ in der Anlehnung an das „sich davonstehlen“.

Ragequit
Ragequit

Die Option einfach zu gehen ohne dies verbal anzukündigen, gibt mir nämlich die Möglichkeit, völlig selbstbestimmt das Ende meines Suffs zu wählen. Ich brauche kein „Blabla“ warum ich jetzt wirklich kein Lied mehr abwarten will und noch ’nen Cuba Libré trinken möchte, sondern einfach ins Bett will.
Handy auf lautlos und selig in den Schlaf gleiten.
Viele empfinden den polnischen Abgang als asozial. Es gilt allgemein als unfreundlich einfach ohne Verabschiedung zu gehen. „Wir hätten uns ja sonst auch noch ein Taxi teilen können.“ „Ich wollte noch was mit dir bereden.“ „Ich dachte du sagst noch tschüss.“
Alles grober Unsinn. Es geht hier nicht darum nach drei Feierabendradlern gemeinsam zum Taxistand zu schlendern um dann nach einem Gespräch über die aktuellen Probleme auf der Arbeit sich mit Wangenkuss zu verabschieden.

Kein Kindergeburtstag

Weg hier
Weg hier

Ich spreche von engagierten Trinkern, die einen letzten, kurzen Moment der Klarheit nutzen um sich in den sicheren Hafen des Bettes zu retten und nicht mit’m Kopf an den Kacheln der Toilettenwand einzupennen. Dieser Moment der Willensstärke ist meistens nur sehr kurz und darum unmittelbar zu nutzen, bevor ein guter alter Freund nochmal auf die Idee kommt ein bisschen Hamburger Schule zu hören und ein paar Whisky-Cola zu trinken. Betrunken sind wir nämlich sehr schwach und fallen auf „Ach, eins geht noch“ auch einfach immer rein.

Du verpasst nix

Trotzdem passiert nie etwas Gutes zu spät in der Nacht. Es gibt kein total wichtiges Gespräch um 2:46 Uhr nachts, was ich verpasse, wenn ich meinen geliebten Polnischen mache.
Neueinsteiger in der Trinkerszene verabschieden sich dann nachts um 3:00 Uhr gerne mit der Formulierung „Ich mach jetzt ’nen Polnischen.“ Tut mir Leid, aber wer das so handhabt, hat ungefähr gar nichts verstanden. Das Prinzip der polnischen Abgangs ist ja gerade eben nicht Bescheid zu geben.
Das ist im Übrigen höchst sozial! Ich möchte ja niemandes Feierlaune unterbrechen um jetzt festzustellen, dass der dicke Mann jetzt auch schon nach Hause geht und die Nacht sich also dem Ende neigt. Im Gegenteil: Die schönste Nächte sind die, bei denen man lange nicht merkt, dass es eigentlich schon vorbei ist.

Wie genau?

Fehlt hier nicht einer?
Fehlt hier nicht einer?

Es gibt verschiedene funktionstüchtige Modelle des polnischen Abgangs, der Klassiker dürfte der vorgetäuschte Toilettengang sein. Einfach vom Pinkeln nicht mehr wiederkommen. Wunderbar geeignet, wenn die Toilette nicht in Sichtweite des Trinkgelages ist. Bevor die trinkende Menge merkt, dass einer fehlt, schlafe ich schon lange den Schlaf der Gerechten.
Ein anderer Klassiker ist die Off-Beat-Zigarette. Einfach mit rausgehen zum Rauchen, warten bis die Mitgehenden schon halb aufgeraucht haben, sich dann eine anzünden und wenn die Anderen fertig sind ein kurzes: „Geht ruhig schon rein, komme gleich nach.“ Lässt sich gut kombinieren mit einem vorgetäuschten Telefonat.
Vorteil: Ich bin schon mal draußen vor der Tür. Nachteil: Raucher sind häufig hyper-solidarisch und bestehen darauf gemeinsam mit Dir im Schneesturm drauf zu warten, bis Deine Kippe aufgeraucht ist.
Also raucht auch der Andere noch eine Kippe, man offenbart die Pläne des Polnischen und beschließt gemeinsam sich zu verpissen.
„Aber kurz vorm Taxistand… da neben dem Dönermann, da ist doch noch diese eine lustige Kneipe, da könnten wir doch noch… also einen natürlich nur… aber ’nen schnellen…“

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