Vorbereitung
468 Tage nach meinem ersten Ironman in Hamburg war es wieder soweit, ich versuche mich an 3,8km Schwimmen, 180km Rad fahren und 42,195km laufen – der Ironman Italy. Meine zweite Langdistanzsaison lief irgendwie so gar nicht wie geplant. Roth im Juni hatte ich abgesagt, da ich motivational im Frühjahr nicht den Arsch hoch bekommen habe und kurz vorm geplanten Trainingswettkampf im August in Duisburg, hat mir mein Rücken einen Strich durch die Rechnung gemacht (siehe Artikel dazu). Rückblickend würde ich sagen ein Symptom für zu sprunghaften Anstieg des Trainingsvolumens.
In Summe stehe ich in den 6 Monaten vorm Ironman Italy bei durchschnittlich 6,5 Stunden Training pro Woche, vor meinem Ironman in Hamburg waren es immerhin knapp 9 Stunden in der Woche. Jeder halbwegs vernünftige Triathlon-Trainer empfiehlt für eine Langdistanz 10 Stunden pro Woche.
Nichtsdestotrotz ist für mich völlig klar, ich gehe an die Startlinie. Physiotherapie und Yoga haben meinen Rücken halbwegs wieder in die Spur gebracht und das Erlebnis sollte einfach großartig werden. Ich reise nämlich nicht allein nach Italien, mit mir sind 10 Freunde unterwegs. Wir haben eine riesige Villa mit feudalem Grundstück unweit von Rimini gemietet und kombinieren den Ironman Italy mit einer Woche Urlaub. Tom wollte hier ursprünglich auch starten, hatte aber mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen. Es bleibt dabei: Gesund an die Startlinie kommen ist die wichtigste Disziplin.
Wettkampftag
Um 3:17 Uhr weckt mich die Sleep Cycle App. Der Schlaf vor so einem Tag ist eh nicht sonderlich tief, so dass ich sofort da bin. Ich koche mir in der Küche einen Kaffee und beginne, meine Haferflocken zu essen. Ich bin gefühlt jede Checkliste 41 mal durchgegangen, es kann eigentlich echt nichts mehr fehlen. 4:30 Uhr kommt Michelle in der Küche, sie fährt mich gleich in Richtung Cervia. Da mein Rad einfach perfekt in ihr Auto passt, war sie auch gestern schon so lieb mich zum CheckIn zu fahren und muss hier seit Tagen sämtliches Triathlon-Gelaber von mir ertragen. Um 5 Uhr fahren wir los. Im Auto mache ich sogar nochmal kurz die Augen zu. In der Wechselzone dann letzter Check am Rad, Wechselbeutel nochmal überprüfen, passt alles. Genug Zeit zum Umziehen und perfekt nervös werden.
Die Kulisse ist ein absoluter Traum. Italienische Nationalhymne, Flugshow vom Militärhubschrauber, Wahnsinn. Die Sonne geht über dem Mittelmeer auf und die tiefe, vertraute Stimme des IRONMAN-Moderators treibt mir mehr als einmal Tränen in die Augen. „THIS DAY WILL MAKE YOU A LEGEND – YOU GONNA BE AN IRONMAN.
Vom Rand gucken wir uns den Profistart an. Mit Maurice Claver, David McNamee, Flo Angert und noch einigen anderen bekannten Namen ein durchaus vorzeigbares Profifeld. Inzwischen sind auch die anderen Supporter da. Chris, Fero, Tom, Tommi, Jan, Erik, Alina, Davide, Max und Michelle klatschen noch einmal mit mir ab, bevor ich mich auch zum Schwimmstart einreihe.
Die Minuten vorm Start sind wie Meditation. Ganz alleine stehe ich da zwischen 2.000 Athleten aus 84 Ländern. Ich weiß, sportlich wird es schwer die Leistung aus Hamburg zu toppen, aber das ist doch auch scheißegal. Ich freue mich heute auf das Erlebnis und den Tag.
Schwimmen
08:33 Uhr geht es für mich auf die Strecke. Ich sehe meine Supporter im Augenwinkel, konzentriere mich aber darauf beim Reinlaufen ins Wasser mich nicht auf Maul zu legen. Recht flach geht es in die Adria rein, so dass ich die ersten 100 Meter noch laufend zurücklegen kann, bevor ich zu schwimmen anfange. Ich merke, dass ich noch nicht im richtigen Rhythmus bin. Mein Puls ist bei 140 und ich „verstolpere“ mich bei den Kraulzügen. Also kurz mal paar Meter Brustschwimmen, durchatmen – klar kommen. Wir haben 3,8km vor uns, kein Grund jetzt früh schon irgendwie panisch zu werden. Konzentrieren, orientieren, weiter gehts.
Wie es sich für einen anständigen Lifestyle-Triathleten gehört, habe ich natürlich viel zu wenig schwimmen trainiert, was ich deutlich merke. Dennoch muss ich sagen, Schwimmen im Mittelmeer ist schon nochmal ein anderes Erlebnis als in der Duisburger Regattabahn oder der Hamburger Binnenalster. Ich will es nicht zu esoterisch klingen lassen, aber so ein Ironman gibt einem ja auch irgendwie das Gefühl hier die Natur zu bewältigen. Immer wieder packe ich auch in irgendwelche quallenartigen Tiere, aber laut IRONMAN sind das nur „Mnemiopsis leidyi“ und es brennt auch in der Tat nix.
Ich bin im Kopf noch nicht richtig im Rennen angekommen, mir gehen noch die Gespräche der letzten Tage durch den Sinn und denke über vieles nach. Für jede Nation wurde vorm Start ein Song gespielt. Für Italiener „Azurro“, für Franzosen „Aux Champs Elysee“. Und für uns? Ja für die Deutschen lief „Ein hoch auf uns“. Was ein kack Lied. Denke darüber nach, was wohl der beste charakteristische deutsche Song gewesen wäre. 99 Red Ballons von Goldfinger denke ich. Mit diesen Gedanken kraule ich durchs Mittelmeer. Irgendwie ist so ein Wettkampftag ja auch einfach ein Tag voller Selbstgespräche.
Der Wellengang ist sehr gering, aber dennoch ein Unterschied zum Bielefelder Wiesenbad. Spätestens ab Kilometer 2 merke ich, dass durch das Salzwasser der Neoprenanzug nochmal besonders scheuert. Nervig, nächstes Mal mit irgendeinem Skin-Protect-Zeug einschmieren.
Scheinbar habe ich mich auch noch verschwommen, aber nach über 4km (laut Garmin) ist meine erste Disziplin vorbei und ich laufe den Strand hoch Richtung Wechselzone.
Meine Supporter stehen direkt an meinem Wechselplatz und feuern mich an. Setze mich extra etwas abseits in die Wechselzone, um nicht unter kompletter Beobachtung mich umziehen zu müssen. Neoprenanzug aus, abtrocken, Socken an, Radschuhe, Helm, Brille, Startnummer – auf geht’s. Meine Supportcrew joggt hinterm Zaun mit. Tommi brüllt eine leichte Abwandlung meines Lieblingsspruchs „Sei auf der ersten Hälfte kein Idiot und auf der zweiten Hälfte kein Weichei“. Passender Weise bereits mit einem Pilsbier auffer Kralle. So lob ich mir echten Ausdauersportsupport.
Rad
Das letzte was ich höre bevor ich auf die 180km Radstrecke aufbreche ist, wie Michelle mir noch hinterherruft „Du schaffst das, viel Spaß“. Satz bleibt mir irgendwie die ganze Zeit im Ohr. Achja, das ist ja auch zum Spaß haben hier da.
Die ersten Kilometer sind recht ruppig, der Asphalt ist schlecht. Ich konzentriere mich erstmal drauf, mich vernünftig zu verpflegen, viel zu trinken und die ersten Kalorien zu mir zu nehmen. Beim Schwimmen habe ich viel Salzwasser geschluckt und stille nun meinen Durst. Direkt hinter mir höre ich den ersten Sturz, ein Schlagloch überrascht einen Mitstreiter und reißt ihn zu Boden. Scheiße, auf sowas habe ich keinen Bock.
Bei Kilometer 20 ist der markanteste Teil der Radstrecke erreicht, der berühmte „Autobahn-Abschnitt“. In der ersten Runde geht es 30km dieses kerzengerade und topfebene Stück Autobahn rauf und runter. Meine Radleistung im Flachen ist dank hohen Wattwerten und toller Aerodynamik meines Fahrrads mehr als konkurrenzfähig. Als schlechter Schwimmer bin ich naturgemäß weit hinten im Feld und kann nun ordentlich aufräumen. Blinker nach link und Vollgas. Auch mit verhältnismäßig niedrigen Wattwerten überhole ich einen Starter nach dem Anderen. Wie bei solchen Wettkämpfen leider üblich, sehe ich immer wieder Radfahrpulks, die dann doch mehr Windschatten nutzen als im Triathlon erlaubt. Bei 180km Strecke können eben auch nicht überall Kampfrichter auf alles aufpassen. Natürlich habe ich auch den Gedanken, ob ich mich irgendwo einreihe und die Beine etwas schone. Aber ich denke mir: Wem will ich damit was beweisen? Ich bescheiße mich am Ende nur selber. Also wird schön weiter überholt und im Wind gefahren.
Wasserlos
Bei Kilometer 30 naht die erste Verpflegungsstelle. Passt, ich hab ordentlich Durst und bereits zwei Liter Wasser getrunken. Kurz vorher werfe ich die beiden leeren Trinkflaschen weg, ich mitgebracht hatte, um wieder Platz in meinen Flaschenhaltern zu haben. Meine Erwartung war, dass es hier genau wie in Duisburg oder Hamburg diese standardisierten 0,75er Sport-Trinkflaschen gibt, die bombensicher in meine Flaschenhalter passen. Pustekuchen. Schockiert stelle ich fest, dass es hier im Grunde normale 0,7er Plastik-Wasserflaschen ausm Supermarkt gibt. Bin etwas verdutzt, lasse mir zwei angeben und stecke sie in meine Flaschenhalter. Dauert dann tatsächlich keine Minute bis mir beide rausfallen. Jut, was bedeutet das nun? Bis zur nächsten Verpflegungsstelle dauert es noch 30km, die Sonne ballert mit 28 Grad. Ich habe nicht nur abartig Durst, sondern brauche die Flüssigkeit auch um die Kohlenhydrathegels in meinem Magen zu verdünnen. Der Zuckerbrei ist sonst zu hochkonzentriert. Zusammenfassen lässt sich meine Emotion in dem Moment wohl mit „scheiße“.
Aber gut, wichtige Beraterfähigkeit ist es ja, immer das beste aus dem Moment zu machen, also fahren wir erstmal weiter und gucken, was der Tag noch so bringt. Die Autobahn verfliegt und als ich vor der imposanten Festung „Rocca di Forlimpopoli“ an der zweiten Verpflegungsstelle angekommen bin, halte ich einfach an um mich wirklich vernünftig zu verpflegen. Eine Wasserflasche sofort exen, eine in mein Trinksystem einfüllen und eine stecke ich mir in den Einteiler, damit ich für alles gewappnet bin.
Der Berg ruft
Nun erwartet mich nämlich der Endgegner der Radstrecke, der 2km Anstieg nach Bertinoro rauf. Michelle war mit mir am Vortag den Berg schon einmal mitm Auto abgefahren und mein Fazit war, dass die 134 Höhenmeter mit bis zu 12 % Steigung ganz schön hart werden.
Aber gut, bloß kein falscher Ehrgeiz und jetzt hier mit zu hohen Werten die Beine dick fahren. Ich kurble den ersten Abschnitt im leichtesten Gang so langsam es geht hoch, bevor ich mich dann auf den steilsten 500 Metern tatsächlich entscheide mein Rad zu schieben. Wenn über 10% im Tacho stehen, dann ist „Watt pro KG“ einfach die entscheidende Einheit und mein Wettkampfgewicht ist noch sehr weit weg von dem, was ein Ironman-Finisher normalerweise auf den Rippen hat. Habe jetzt keine empirischen Daten, aber ich könnte mir gut vorstellen, dass ich heute der schwerste Starter bin.
Für alle, die sich fragen, wie das bei so viel Sport geht: Abgenommen wird in der Küche, auch in harter Triathlonvorbereitung könnt ihr problemlos nicht abnehmen, einfach regelmäßig genug Scheiße fressen und Cola trinken.
Nun denn, der Berg ist geschafft, die Abfahrt hat wenig enge Kurven und ist angenehm schnell, ich kann gut rollen lassen und überhole einige der Bergziegen wieder. Nun geht es nochmal zurück Richtung Autobahn, wo es nun insgesamt 40km rauf und runter geht, für mich wieder mit Anhaltepause an der Verpflegungsstelle. Dieser Abschnitt wurde mir vorher als „Für den Kopf am schwersten“ beschrieben, muss aber sagen, dafür finde ich geht es ganz gut klar. Ich fahre immer wieder durch irgendwelche Fliegenschwärme und habe plötzlich 20 Viecher am Körper, das nervt, aber mir kommt der Gedanken „Glaube die ersten 11 Ironman 1978 auf Hawaii hatten andere Probleme“. Der Gedanke bringt mich zum lachen und ich fahre weiter und weiter. Auch wenn es als ich diesen Zeilen schreibe erst 2 Tage her ist, irgendwie kann ich mich an nicht mehr viel auf diesem Abschnitt erinnern. Es passiert ja auch wenig. Kopf runter, kurbeln, über sein Leben nachdenken.
Es zieht sich
Kurz hinter Kilometer 100 merke, dass irgendwo auf der Radstrecke ich die Abdeckung von kleinen Box an meinem Rad verloren habe und mir auch der Ersatzschlauch rausgeflogen ist. Puh, ungeil. Aber sei es drum. Einfach keinen Platten bekommen!
Bei der Verpflegung an Kilometer 130 lasse ich mir ne Banane geben, habe das Gefühl die beruhigt nun meinen Magen. Durch die hohen Temperaturen und meine zwischenzeitige Wasserknappheit bin ich etwas zurückhaltender mit meinem Maltodextrin-Zuckerzeugs gewesen, da ich mir nicht den Magen versäuern wollte.
Rauf gehts nochmal zum Berg und dann ab nach Hause. Ab Kilometer 135 wird es richtig zäh. Ich mag nicht mehr. Meine Füße und mein Nacken tun weh. Ich hab im Kopf ein bisschen hin und her gerechnet, was zeitenmäßig heute drin ist. Ergebnis ist eindeutig: Nix besonderes. Durch Berg und Pausen (und ehrlicherweise auch durch schlechteren Trainingszustand) werde ich meine Zeit von Hamburg nicht knacken, aber das ist irgendwie scheißegal.
Loslaufen
Endlich kommt die Wechselzone näher und die Radfahrt ist vorbei. Direkt an der Dismount-Linie stehen Tom und Tommi und brüllen mir irgendwelche Zielzeiten zu. Ich antworte schnell „nee nee, heute kein Bestzeit“. Beide haben wieder Bier auf der Hand und sind merklich angetrunken, ich muss lachen und hab auf einen Schlag wieder gute Laune. Aber hab keinen Bock jetzt irgendwie euphorisiert zu schnell anzulaufen um dann ggf. mein ganzes Rennen
zu riskieren. Beim Absteigen vom Rad habe ich einen Krampf in beiden Fußsohlen. Das sieht von außen zwar sehr merkwürdig aus, ist jetzt aber im Langdistanztriathlon auch nichts wahnsinnig unübliches. Das Ganze löst sich, als ich mir meine Laufschuhe schnüre. Tom und Tommy traben noch etwas neben mir, bevor ich links abbiege auf die erste Laufrunde. Ich behalte direkt meine Uhr im Blick: Puls ist zu hoch und Pace zu schnell, aaaaaalso runterkommen! Ziel ist so lange es geht mit irgendwas zwischen 6:30 und 7:00 durchzujoggen, nur bei den Verpflegungen gehen, keinen Quatsch machen und mal gucken wie weit wir kommen.
Nach einem Kilometer sehe ich Tom und Tommi wieder am Streckenrand, die beiden gehen locker und genießen ihr Heineken (seien wir ehrlich – ein Scheißbier). Ich brülle irgendwas und beide fangen an zu Rennen, schnell versuchen sie die anderen Supporter bei KM2 zu erreichen. Erfahre nachher, dass dieser Zwischensprint die beiden wohl fast zum Erbrechen gebracht hat. Lustig, wer feuert hier eigentlich wen an. Bei KM2 stehen dann meine 10 Freunde. Sie rufen, jubeln, schreien, alle feuern mich an. Dazu ein riesiges rotes Plakat. Ich bin einfach komplett überfordert. Ich weiß nicht, was ich machen soll und laufe – ähnlich wie damals in Hamburg – erstmal komplett euphorisiert einfach weiter und hebe meinen Daumen.
Dieser Abschnitt läuft echt gut. Das kleine Strandörtchen Cervia ist wunderschön, man läuft durch traumhafte kleine Gassen, sogar am Hafen entlang und gefühlt bei manchen Restaurants wirklich an den Gästetischen vorbei. Als ein Pärchen den Kellner nach einer Empfehlung fragt, rufe ich im Vorbeilaufen, dass ich das Bruschetta empfehlen würde. Soweit reicht mein Italienisch noch und finde ich extrem lustig von mir.
Langsam zerlege ich mir die Strecke im Kopf. Bloß nicht denken „nur noch 36km“. Stattdessen nehme ich mir vor bei der nächsten Verpflegung ordentlich Maurten-Gels einzupacken, um einen lange einstudierten Witz zu bringen. Erik ist als Schwabe unsere Truppe dafür bekannt, dass sein Schutzpatron eine Tupperdose ist. Als ich meine Supporter bei KM9 wieder treffe, stecke ich Erik 3 Gels zu und sage „Hier, steck mal ein, die waren teuer“. Somit auf der ersten Runde schonmal 12 € Gewinn gemacht. Finde ich lustig.
Runde 2
Erste Runde ist absolviert, bei KM11 stehen dann nochmal meine Supporter und es geht auf in die zweite Runde. Das werden zwar keine Bestzeiten und ich nutze die Verpflegungsstellen immer wieder für ausführliche Gehpausen, aber ich komme voran und voran. In der ersten Runde hatte ich mir bereits vorgenommen, auf dem Mäuerchen bei KM16 mich kurz hinzusetzen um mir die Schuhe neu zu binden. Tue ich auch und tut tatsächlich einfach gut. Für den ersten Halbmarathon steht eine Zeit von 2:30h auf meiner Uhr. Das ist für einen solchen Tag und unter diesen Bedingungen ein Ergebnis, mit dem ich echt ganz zufrieden bin. Und wer schon mal eine Langdistanz gemacht hat, der weiß: auf der zweiten Marathonhälfte, da wird alles ein bisschen anders. Also besorge ich mir selbst eine letzte Portion Motivation. Als bei Kilometer 22 wieder meine Supporter stehen, strecke ich Tommi die Hand raus und sage: „Was ist jetzt? Nächstes Jahr Ironman machste mit?“ – Die Planung dafür lag schon seit längerem in der Luft, aber in letzter Zögern war immer da. Jetzt nicht mehr. Tommi schlägt ein und spätestens hier ist für mich klar: ich werde auch 2024 wieder einen Ironman machen. Mit Tom und Tommi.
Bei KM23 dann ein weiteres Highlight: Ein Zuschauer ruft: „Hey Troostiboy, gib alles!“. Meine Serie hält also, seit Corona werde ich bei jedem Triathlon von irgendeinem Fan oder Starter erkannt, der mir dann meistens erklärt, was er alles von meinem Online-Content kennt und wie sehr ihn das motiviert. Ich kann nicht in Worte fassen, wie sehr mich das pusht.
Die letzten Stunden
Die dritte Runde ist mental eigentlich die Schwierigste, aber ich habe ein Lächeln im Gesicht. Ich kenne mich inzwischen gut genug, dass ich weiß, dass ich stumpf genug bin, dass jetzt einfach zu Ende zu bringen. Immer wieder versuche ich anzulaufen, KM26 ist der letzte, den ich mal ohne Gehpause durchlaufe, dann beginnt meine Oberschenkelrückseite immer wieder zu krampfen. Aber gut, dann gehe ich halt wieder ein Stück. Ist mir scheißegal, was der Körper sagt, ich werde heute als „TWO TIMES IRONMAN FINISHER“ ins Bett gehen, und wenn ich die letzte Runde kriechen muss.
Bei KM29 bleibe ich nochmal bei meinen Supportern stehen und wir verabreden uns für „im Ziel“. Die letzte Runde gehe ich fast komplett. Meine Pace ist 10min/km. Ich kann wirklich nicht mehr. Mir tut alles weh, mir ist kalt, mir ist warm, ich hab Durst, ich muss Pipi. Ich denke an David Goggins, der in seinem Buch „Can’t hurt me“ beschreibt wie wertvoll es ist sich selbst zu quälen. Aber da muss ich sagen: Nö. Obwohl ich wirklich komplett am Ende bin, bin ich glücklich. Ich lächle. Ich denke über viele Dinge nach, ich bin dankbar dafür, dass mein Körper mich durch diesen Tag trägt und bin unfassbar gerührt, dass 10 Freunde einfach nach Italien fahren um mich an einem solchen Tag zu begleiten. Wieder habe ich Tränen in den Augen. Was gibt es auf der Welt eigentlich schöneres als Ironman?
Das Finale
Fast etwas traurig bin ich bei KM40, dass meine Meditationswanderung nun vorbei ist, wie es sich gehört, laufe ich den letzten Kilometer nochmal an. Bei KM41 bin ich etwas verwirrt, bereits einiges meiner Supporter zu sehen: Ich dachte wir treffen uns im Ziel? Ich klatsche kurz ab und dann beginnt die witzigste Aktion des Tages. Die Truppe rennt einfach wie von der Tarantel gestochen kreuz und quer neben der Strecke, durch Cafés, über Zäune, übern Strand um dann doch noch vor mir am Ziel zu sein. Ich höre das Meeresrauschen und sehe das Ziel vor mir. Volle Beleuchtung, einfach nur Wahnsinn. Ich bin allein auf der Ziellinie, der Moderator hat viel Zeit mich anzukündigen: „NEXT ONE – FROM GERMANY – ALEXANDER TROOST, YOU ARE AN IRONMAN“.
Alina, Jan,Erik und Michelle stehen mir riesigem roten Plaket am Rand und wirklich in der Sekunde, in der ich dort ankomme, kommt auch der Rest der Supportertruppe an. Wie seit Monaten vorgenommen, küsse ich Fero auf die Glatze und renne ins Ziel. Jetzt noch schnell den albanischen Adler, das bin ich dem Talentnetzwerk schuldig! Das Video zu den letzten zwei Minuten sieht aus wie Blair Witch Projekt und findet ihr hier: https://www.youtube.com/watch?v=hKG0FSpoJII
Das Endorphin kickt komplett. Im Ziel tut nichts weh, ich bin topfit und will sofort raus aus dem Zielbereich zu meinen Supportern. War für ein Tag, was für ein Erlebnis, was für eine Kulisse und vor allem: Was für Freunde! Danke für alles. Und vor allem auch dankbar für die unfassbar fettige Salami-Pizza, die ihr mir besorgt habt und die nach den 226km wirklich einfach nur göttlich schmeckt.
Danke
Es ist nicht in Worte zu fassen, wie dankbar ich dafür bin, was meine Freunde hier für mich getan haben. Mindestens genauso stark ist aber, was Ihr für alle anderen Starter geleistet habt. Mehrere Finisher bedanken sich nochmal explizit bei unserer Truppe und es würde mich nicht wundern, wenn italienische Triathlon-Medien bald von dieser unfassbaren Truppe von 10 Deutschen spricht, die wirklich jeden einzelnen Starter ins Ziel gebrüllt haben. Chris hat die Hand blutig vom Klatschen, der Großteil ist ohne Stimme. Aber alle mit Pils auf der Kralle.
Was ist mein Fazit? Ich war schlechter trainiert und es war ein härteres Rennen, das zeigt sich natürlich auch im Ergebnis. Aber wenn am Ende einer solchen Saison, mit Motivations- und Verletzungsproblemen, dann einfach noch ein Ironman-Finish mit Lächeln und auf den Lippen steht – dann ist wirklich alles nicht so schlimm. Ich war langsamer und es tat mehr weh als in Hamburg, aber das ist einfach nur die logische Konsequenz eines schlechter trainierten Körpers. Dennoch hat mich der Kopf ins Ziel gebracht. Schöne Erfahrung. Und danke. An alle. Für alles. Und Ironman, ich komme wieder! Wir sehen uns nächstes Jahr in Frankfurt am Maine im Herzen von Europa! Wie der Italiener sagt: Sara perche ti amo – es wird so sein, weil ich dich liebe!