665 Tage, 85km Schwimmen, 9683km Rad und 2455km Laufen sind seit meinem letzten Triathlon im September 2019 am Heidesee vergangen. Damals bin ich nach 1h 54 Minuten und 58 Sekunden als 143. von 146 ins Ziel gekommen. Das Gefühl am Abend vorm Saerbeck Triathlon bleibt trotzdem das Gleiche wie vor jedem Wettkampf. Ich bin nervös und kann nicht schlafen. Dann mache ich halt noch ein lustiges Foto.
Den Tag vorm Wettkampf habe ich für die Vorbelastung wie im Trainingsplan beschrieben genutzt. Bei der Radausfahrt hole ich einen Strava-KOM und auch bei der Laufstrecke gibt es einen Kursrekord in einem Segment. Die Form ist da. Zum Einschlafen gucke ich wie jedes Mal die Doku über Thorsten Schröder beim IRONMAN Hamburg 2017. Traditionen bewahren.
Race Day Saerbeck Triathlon
Mein Wecker klingelt um 5:00 Uhr. Eine Banane hält als Frühstück her. Duschen, Wettkampfanzug an, Auto packen. Ich bin müde. Meine Garminuhr sagt mir, ich habe nur 3,5 Stunden geschlafen. Bin auch echt noch verpeilt. Brauche mehrere Anläufe um das Rad ins Auto zu bekommen.
Auf geht’s Richtung Saerbeck Triathlon. Zwischen Osnabrück und Münster findet hier heute tatsächlich der erste Triathlon 2021 in ganz Nordrhein-Westfalen statt. Um 7:30 Uhr treffe ich dort Marvin am Edeka-Parkplatz, wo wir unsere Räder ausladen und aufpumpen. Nicht zum letzten Mal an diesem Tage werden wir auf unsere Fahrräder angesprochen. Ehrlicherweise muss ich sagen, durch das fantastische Jobrad-Angebot des besten Arbeitgebers der Welt, kann ich mir ein Fahrrad leisten (bzw. leasen), welches genau genommen niemand auf meinem Leistungsniveau fährt. Aber gut, so kommen wir heute mehrfach ins Gespräch. „Kann ich mal ein Foto machen?“ oder auch „Darf ich es mal hochheben?“
Verbandstriathlet oder Lifestyle-Ironman?
Man muss ja grundlegend zwei Arten von Triathleten unterscheiden. Da gibt es die Lifestyle-Triathletin wie Marvin und mich, irgendwann mitten im Berufsleben zu diesem Sport gekommen, in keinem Verein Mitglied, noch nie am Streckenrand bei einer Veranstaltung als Freiwilliger geholfen, aber für unzählige Euros Profi-Equipment. Dazu beide mit der gleichen Basecap aus dem Jan-Frodeno-Fanshop am Start. Flugreisen in Trainingslager und Anmeldegebühren von IRONMAN schrecken uns nicht ab. Wir sind die Unsympathen dieser Sportart. Ich sag es wie es ist, wir sind Red Bull Leipzig. Vielleicht mal zum Vergleich, Startgebühr beim IRONMAN sind 700 €, beim Saerbeck Triathlon 35€.
Der Gegenentwurf sind Leute, die ihr ganzes Leben schon in ehrlichen, kleinen Sportvereinen engagiert sind. Häufig Leichtathleten, die starke Läufer sind und einfach irgendwann sich ein Rennrad geliehen haben und schon macht man Triathlon. Aus solchen Vereinen werden auch immer die Wettkampfrichter gestellt. Da falle ich irgendwie ständig negativ auf. Zumindest ist der Bike-CheckIn und die Sicherheitskontrolle immer etwas holprig.
Naja, Räder sind eingecheckt, Wechselplatz ist eingerichtet und jetzt haben wir noch locker 90 Minuten Zeit uns gegenseitig nervös zu machen und 41 mal pinkeln zu gehen – perfekt.
Starkes Starterfeld
Das Corona-Konzept des Saerbeck Triathlon sieht vor, dass alle 60 Sekunden 15 Starter ins Wasser gehen, so dass nach 20 Minuten alle 300 Teilnehmer auf der Strecke sind. Die Startgruppen sind nach Eingang der Anmeldung sortiert. Es ist deutlich zu erkennen, dass in den vorderen Startgruppen noch die sympathische Dorfbevölkerung angemeldet ist, nach dem Motto „Hier, wir machen mit in Badehose wie jedes Jahr“. Ich habe Startnummer 270. Im hinteren Teil sind ganz offensichtlich jede Menge Ligastarter, die sich nach der Absage des Münstertriathlons für Saerbeck entschieden haben. Allgemein haben 80% des Feldes einen Verein angegeben, dem sie zugehörig sind. Spricht für ein starkes Teilnehmerfeld. Jedenfalls habe ich ernsthafte Sorge hier nachher als letztes ausm Wasser zu steigen.
swim
09:47 Uhr geht es für mich los, Marvin ist eine Minute später dran. Wir laufen in den Badesee rein und ab geht’s. Ich mache den gleichen Fehler wie in gefühlt jedem Wettkampf, das Adrenalin sorgt dafür, dass ich sämtliche Pacing-Überlegungen vergesse und die ersten 100 Meter komplett All-Out-Kraule und auch so viel Beinschlag benutze wie noch nie. Als ich dann im Laktatnebel auch noch Wasser verschlucke, wechsle ich für ein Stück auf Brustschwimmen. Lege die gesamte Strecke in einem Wechsel aus Brust und Kraul zurück, was mich zwar grundlegend frustriert, spannend zu sehen ist aber, dass so ziemlich jeder hier heute scheiße schwimmt. Ist ja fast so, als wäre so eine Pandemie gewesen und wir hätten das alle ewig nicht trainiert.
Nach 13:22 und vermessenen 600 Metern erreiche den Ausstieg. Das ist ja eigentlich voll ok. Huch, Marvins Rad ist ja noch da? Erfahre später, dass er den gleichen Taktikfail beim Schwimmen gemacht hat. Als ich mein Rad aus der Wechselzone schiebe kommt Marvin gerade ausm Wasser.
bike
So, auf dem Schotterweg geht’s runter vom Badeseegelände. Es regnet seit Stunden und der Matsch auf dem Weg bring mich zum fast zum Stürzen. Endlich Asphalt. Jetzt kann es losgehen.
Ich sag es wie es ist: Ich bin bei Regen in Kurven ein krasser Schisser. Wenn es draußen regnet, fahre ich Rolle. Die ersten Hälfte der Radstrecke hat eine Menge 90 Grad Kurven, bei denen ich immer stark runterbremse. Die Antritte dazwischen machen aber Spaß. Ich sehe allgemein sehr wenig Fahrer. Haben die alle abgebrochen? Ich überhole vielleicht drei Leute und werde selbst auch nur drei Mal überholt. Bei Kilometer 9 zieht Marvin am mir vorbei.
Nachher erkenne ich an den Zielzeiten, dass ich einfach recht „mittag“ im Tempo meiner Startgruppe war, daher kam es am Anfang einfach zu wenig Überholvorgängen.
Die zweite Hälfte der Radrunde ist ein Traum. Auf einer gesperrten Landstraße geht es kerzengerade zu einem Wendepunkt und genauso gerade zurück Richtung Wechselzone.
Inzwischen bin ich wohl auf die schwächeren Radfahrer in den vorderen Startgruppen aufgefahren. Auf dem Streckenabschnitt kann ich mein Zeitfahrrad vollends ausspielen. Von KM 10-17 trete ich im Schnitt 270 Watt und halte eine Durchschnittsgeschwindigkeit von 37,4 km/h. Es ist ein unfassbarer Adrenalinrausch fast die gesamte Zeit auf der linken Spur zu fahren und einen nach dem anderen einzusammeln. Ich zähle mit. Exakt 27 Starter überhole ich auf diesem Teilstück. Mein Puls ist viel zu hoch und gegen Ende wird mir auch kurz schwindelig. Völlig überzockt, aber egal – beste Leben. Bikers High!
Nach 33 Minuten geht es schon wieder in die Wechselzone.
run
Es ist immer wieder ein schönes Gefühl, wenn es „nur noch Laufen“ ist. Das gibt die Sicherheit „Es kann kein technischer Defekt mehr kommen, du wirst definitiv das Ziel erreichen“. Aus der Wechselzone raus geht die Laufstrecke für ein ganz kurzes Stück mit 15% Steigung hoch. Es sind zwar wirklich nur 20 Meter, aber es reicht um meinen Puls vollends in die Höhe zu jagen.
Die erste Kilometer nachm Laufen ist eh immer holprig. Ich komme mir vor wie in Zeitlupe. Ich drücke mir ein Gel mit Koffein rein, nochmal für den letzten Kick.
Nachher sehe ich, dass der „erste Kilometer zum Reinkommen“ auf 5:02 angelaufen war. Vielleicht aweng flott. Aber egal.
Tatsächlich passiert auf den 5 Kilometern echt wenig in meinem Kopf. Habe ja die Theorie, dass ich ab 150er Puls 30 IQ-Punkte dümmer bin. Ich suche mir einen Läufer in ähnlicher Leistungsklasse vor mir und renne ihm einfach hinterher. Der grüne Wettkampfanzug vom SG Welper mit Startnummer 203, das ist jetzt mein Fixpunkt. BeI Kilometer 2 kommt mir Marvin entgegen, der schon am Wendepunkt war. Kurze Ghettofaust und Motivationsschub, weiter geht’s. Habe nicht das Gefühl großen Einfluss auf mein Tempo zu haben. Ich laufe einfach. Auf der Rückseite des Sees entlang geht es Richtung Ziel. Da sehe ich auch schon Marvin hinter der Ziellinie mit dem Handy in der Hand, das motiviert zumindest für einen kurzen Zielsprint. Nach 26 Minuten sind die 5km vorbei.
Im Ziel
Es klingt nach falscher Bescheidenheit, ich weiß. Aber im Ziel bin ich mir zunächst sicher, dass meine Uhr hier was falsch gemessen hat oder ich mich verdrückt habe, da mir 1:16:50 als Zielzeit angezeigt wird. Die offizielle Zeitmessung bestätigt es aber. Auch wenn man unterschiedliche Veranstaltungszeiten nicht miteinander vergleichen kann, das ist einfach mal 38 Minuten schneller als am Heidesee. Damit wäre ich dort einfach 20. geworden. Im starken Feld des Saerbeck Triathlon ist es heute Platz 155 von 247 Finishern.
Meine absolute Wunschzeit wären 1:24 gewesen. Aber mein Gott, die 1:16:50 nehme ich auch. Marvin ist mit 1:11:17 auch super zufrieden. Sein Ziel war 1:15. Wie üblich ist das Schönste am ganzen Tag eigentlich, völlig ausgepowert hinter der Ziellinie die Erfahrung des Tages auszutauschen. Dazu eine Banane und ein Isodrink.
Fazit
Meine Radform ist herausragend. Lanzarote hat komplett angeschlagen. Mit 26min10sek für 5km Laufen bin ich auch zufrieden, gerade da ich ja nach wie vor kein Leichtgewicht bin. Da mein Fokus aber nicht die kurze Distanzen sein werden, werde ich jetzt auch kein spezielles Tempotraining beim Laufen einbauen.
Definitiv ein Hebel wird aber „Freiwasserschwimmen“ sein. Im offenen Gewässer kraulen ist einfach etwas ganz anderes als im Becken. Bis zur olympische Distanz am 8. August in Bremen (mit 1500 Meter Schwimmen) sollte hier noch einiges passieren. Endlich wieder Triathlon. Meine Fresse war das geil.