Frankfurt Marathon – ein perfektes Wettkampfwochenende

Mein Wettkampfwochenende beginnt am Samstagmorgen um 6:30 Uhr mit dem Wecker. Ja, ungewöhnliche Uhrzeit fürs Wochenende, aber ich habe einen engen Zeitplan. Flott noch 6km als Vorbelastung laufen, Frühstücken und ab zum Bahnhof. 9:20 Uhr geht mein Zug in Richtung Düsseldorf, dort treffe ich auf Tommi und Jan-Michael mit denen ich gemeinsam zum Frankfurt-Marathon reise.

Ab gehts
Ab gehts

Carboloading beginnt

Mjam
Mjam

Unser erster Halt ist der Tesla-Supercharger in Herten mit angeschlossener Bäckerei. Ein Traum. Zu dritt vertilgen wir genug Süßwaren, die sonst für einen „Kaffee und Kuchen“-Nachmittag von 20 katholischen Landfrauen reichen würden.

Zur Erklärung: Natürlich ist es sinnvoll, unmittelbar vor einer solchen Belastung wie einem Marathon die Kohlenhydrathspeicher entsprechend zu füllen. Der normale Sportler isst vielleicht ne Portion Nudeln mehr oder einfach ganz klassisch Haferflocken oder Milchreis. Aber nicht mit uns!

Unser festes Vorhaben ist es den ganzen Tag so unfassbar viel Einfach-Zucker-Schrott zu fressen, wie sonst nur ein Fünfjähriger aufm Kindergeburtstag.

So gibt es natürlich noch einen Zwischenhalt an einer Autobahnraststätte mit Curly Fries und McFlurry. Traumhaft. Und mal gucken wie schnell ich so eine Tüte M&Ms von der Tanke schaffe.

HELD DER STEINE

Stolze Fans
Stolze Fans

Vielleicht etwas ungewohnt an so einem Ausdauersportwochenende, aber bevor wir im Hotel ankommen müssen wir natürlich noch einmal beim Held der Steine vorbei. Wer nicht, worum es geht: Dieser YouTube-Kanal ist wirklich legendär. Unbedingt reinschauen! Schnell noch ein T-Shirt als Souvenir gekauft und für Tommi gibt es sogar ein Einhorn.

AB ZUM HOTEL

Durch die Bahnhofsnähe unseres Hotel bekommen wir direkt die Überdosis Frankfurt zum Start. Googlemaps leitet uns auf dem Fußweg von Parkhaus zum Hotel durch die Niddastraße wo gerade so ziemlich jeder Droge der Neuzeit konsumiert wird. Ob Leistungszuwächse durch Heroin im Ausdauersport bekannt sind weiß ich zwar nicht, aber es bleibt beim Grundsatz: Doper stinken!

Eindrucksvoller Zieleinlauf
Eindrucksvoller Zieleinlauf

Nach dem Check-In gehts zum Messgelände die Startunterlagen abholen. Wir haben uns ehrlicherweise aufgrund des Termins für Frankfurt entschieden und sind alle dann doch etwas überrascht, was das für ein Riesending hier ist. Über 10.000 Starter, das ist schon eine andere Hausnummer als unser üblichen Laufzielorte wie Münster, Bremen oder Bertlich und auch so ein 4000-Starter-IRONMAN wirkt gegen den Frankfurt-Marathon fast schon familiär. Handelt sich hier ja schließlich um den zweitgrößten Marathon Deutschlands.

Vorabendstimmung
Vorabendstimmung

Wir inspizieren die Festhalle, der charakteristische „Indoor-Zieleinlauf“ dieses Rennens. In der Anmeldegebühr enthalten ist noch eine Portion Nudel und endless Krombacher 0,0. Hach, diese unschuldige Stimmung vom Vorabend eines Rennens. Rumsitzen, Müll reden, futtern, nervös werden. Unser Kollege Daniel kommt dazu, der ebenfalls morgen startet. Jan-Michael ist schon ganz hibbelig. Das ist natürlich ein Nebeneffekt der ganzen Zuckerscheiße, man bekommt ordentlich Hummeln in den Hintern.

Viel mehr Schrott essen!
Viel mehr Schrott essen!

Und natürlich geht es heute nicht ins Bett, bevor wir nicht noch mal am Supermarkt UND bei McDonald’s Halt machen und uns mit Schrott eindecken.

WETTKAMPFTAG

6:45 Uhr klingelt mein Wecker. Ich versuche dann doch noch etwas Professionalität in die Routinen zu bringen und schmeiße meinen Wasserkocher an, den ich mitgebracht habe. Dazu gibt es Haferflocken mit Agavendicksaft. Das ist 3 Stunden vorm Start für mich wirklich das perfekte Frühstück. Tommi wählt hier eine andere Taktik. Noch im Bett liegend und seinen dunkelblauen Satin-Pyjama tragend, verspeist er eine Packung Haribo Schnüre. Jan-Michael bekommt allein beim Gedanken daran Sodbrennen. Er selbst ist schon wieder so hibbelig, dass wir ihn schnell zum Bäcker gegenüber schicken noch bissl Kaffee holen. Traumhaft. Jetzt noch jeder einmal aufs Klo und dann kann es losgehen.

Alle bereit?
Alle bereit?

Vor dem Hotel wartet Moritz aus München aus uns. Ich bin tatsächlich inzwischen schon so lange im Ausdauersportgame unterwegs, dass ich irgendwie an jeder Startlinie Bekannte treffen kann. Cooles Gefühl, ich mag meine Sportlerbubble.

Wir alle haben heute unterschiedliche Ziele: Moritz unter 3:30h, Tommi unter 4h, bei mir soll die Corona-Bestzeit von 4:36h geknackt werden und Jan-Michael möchte bei seinem ersten Marathon unter 5h bleiben. Nach dem nächsten klassischen nervösen Toilettengang verteilen wir uns auf die einzelnen Startblöcke. Nun ist erstmal jeder von uns für sich. 10:17 Uhr überschreitet ich die Startlinie. Auf gehts.

42,195KM BEGINNEN

Los gehts!
Los gehts!

Die ersten Minuten sind in einem solchen Feld noch sehr unruhig. Die meisten Teilnehmer rennen viel zu schnell los und einige müssen auch nach 200 Metern schon das erste Mal pinkeln. Tommi sieht sogar jemanden, der nach 700 Metern bereits zum großen Geschäft Halt macht. Nein, nicht auf einem Dixiklo. Ja, hockend auf dem Grünstreifen. Ja, während 13.000 Läufer an ihm vorbei joggen. Wir sind uns nachher einig „Das wird wohl wirklich dringend gewesen sein“.

Ich habe auch die Illusion Pipi zu müssen, aber in der Vergangenheit konnte ich sowas ganz gut rauslaufen.

Die Frankfurter Innenstadt ist wirklich beeindruckend. Jan-Michael wird abends erzählen, dass er beim ganzen Wolkenkratzer-Sightseeing mehrfach ins Stolpern gerät. Verständlich! Als Technik-Triathlet bin ich mit dem schlechten GPS-Empfang hier natürlich komplett überfordert. In so Häuserschluchten misst meine Uhr nämlich nicht genau die Geschwindigkeit, was mich sehr verwirrt. Jaja, von wegen Körpergefühl, ich brauche hier möglichst viele Daten! So genau wie es nur geht! Ob das in New York beim Marathon dann auch so schlimm ist? In der ersten Stunde nehme ich zwei Maurten Gels zu mir und achte drauf an den Verpflegungsstellen genug zu trinken. Etwas bei KM10 fängt es an zu regnen, was mich zu dem Zeitpunkt aber noch nicht sonderlich stört.

LAAAAAANGWEILIG

Mit guter Laune durch die Stadt
Mit guter Laune durch die Stadt

Man muss ja wirklich sagen, die ersten Stunden von so einem Marathon sind ja auch echt langweilig. Mein Puls ist irgendwo im Bereich 135, das ist ein sehr entspannter Grundlagenbereich bei mir. Natürlich „könnte“ ich vom Gefühl her hier schneller laufen, aber ich habe oft genug erlebt: Das rächt sich hinten raus. In entspanntem Tempo geht es auf die andere Mainseite durch Sachsenhausen.

Das Teilnehmerfeld wirkt ähnlich international, wie bei einem Ironman. Leider sind keine Landesflaggen auf den Startnummern abgedruckt.

Die Halbmarathonmarke ist bereits greifbar und es geht mir immer noch wunderbar. Bei 2h14min ist Halbzeit für mich. Damit bin ich sehr zufrieden. Es ist nicht abartig schneller als erwartet, mir geht es auch noch nicht total kacke und ich hab wirklich das Gefühl: bis hierhin läuft alles wie geplant.

HELAU UND ALAAF AUF RUNDE 2

Heutige Route
Heutige Route

Die Laufstrecke führt durch ein Wohngebiet. Am Streckenrand sitzen Leute mit Aperol Spritz in der Einfahrt und hören laut Cordula Grün. Da kommt mir eine Idee, ich habe noch einen Joker in der Hosentasche dabei! Für die extra Portion Motivation gibt es jetzt meine Running-Playlist auf Spotify. Mit AirPods in den Ohren laufe ich die nächsten Kilometer. Ein Gefühl von Runners High. 13.000 Starter, strömender Regen, körperlicher Grenzerfahrung und auf den Ohren „Et jitt kei Wood, dat sage künnt, wat ich föhl, wann ich an Kölle denk, who oh oh wann ich an ming Heimat denk“

Erwische mich dabei, wie ich beim Laufen mitsinge. Was wohl die Läufer rechts und links von mir denken? Egal.

Erstmals richtig abgefeiert hab ich das Lied auf einer viel zu wilden Karnevalsparty in Bonn, als mein Leben noch sehr weit davon entfernt war, dass ich einmal den sechsten Marathon meines Lebens laufen werde. Aber gut, Zeiten ändern dich. Auf einem kurzen Stück bei KM25 kommen sich die Läufer auf beiden Straßenseiten entgegen, so dass ich Jan auf der gegenüberliegende Seite erblicke und einmal quer rüber brülle „JAAAAAAAAAN!“ – Wirklich ein guter Brüllname. Er scheint auch gut in der Zeit zu sein, ihn noch mal zu treffen pusht mich.

NUN GEHT ES LOS

Skyline durchaus beeindruckend
Skyline durchaus beeindruckend

Die Triathlon-Magazin-Redakteurin Anna Bruder hatte mir am Vortag noch geschrieben, dass ich mich besonders vor der Schwanheimer Brücke und der Mainzer Landstraße in Acht nehmen solle. Dieser Streckenabschnitt ist in gewisser Weise der moralisch Endgegner. Und ja, Anna hat nicht zu viel versprochen. Wenig Zuschauer, Wind, langweilig und zu allem Überfluss wird natürlich auch noch der Regen stärker. Den ganzen gestrigen Tag habe ich mir überlegt, was ich mir für Gedanken im Kopf „zurechtlegen“ will für diesen Moment und so spule ich mich meine Selbstmotivationsmantras ab.

„Der Schmerz ist gut. Genau dafür bist Du hier. Das wolltest Du. Endlich, wird es schwer. Hier willst Du drüberdrücken. Diesen Schmerz zu ignorieren, das ist es, was dich heute Abend stolz schlafen lässt.“

Kilometer für Kilometer arbeite ich mich über die karge Landstraße. Gekrönt wird das Ganze noch davon, dass bei KM 28 mein Schuh auf geht und ich also einmal anhalten muss, runterbrücken, wieder hochbücken und neu anlaufen. Puh, das tat weh.

GESCHAFFT

Es wird zäh
Es wird zäh

Ich muss sagen, das hat wirklich gut geklappt mich so auf diesen Abschnitt vorzubereiten und mich durchzubeißen. Mein Problem ist: Das war jetzt aber erst KM35. Auch wenn es jetzt ein paar mehr Zuschauer gibt, kann man nun wirklich nicht sagen, dass das bereits alles erledigt ist hier. An der Verpflegungsstelle gibt es noch mal Cola und nun beginnen meine Rechenspiele. Mein Uhr habe ich auf Zielzeit 4:35 eingestellt, der Empfang wird nun in der Innenstadt natürlich wieder schlechter, daher kann ich mich nicht minutengenau auf das GPS verlassen, aber im Grunde lässt es sich zusammen mit: So lange ich keine Gehpausen mache, wird das was, aber ich muss durchlaufen.

Klingt vielleicht erstmal ganz leicht, ich bin allerdings noch nie einen Marathon ohne Gehpausen durchgelaufen. Selbst bei meiner absoluten Bestleistung 2021 waren zweimal 500 Meter gehen dabei. Das ist heute nicht drin.

WASSERSCHLACHT AUF DEN LETZTEN KILOMETERN

Was für eine Regenschlacht
Was für eine Regenschlacht

Der Regen wird nochmal stärker und ich bin komplett durchnässt. Es ist wirklich dieses David-Goggins-Rocky-Balboa-Gefühl von „Wenn ich das hier heute schaffe, dann kann ich alles schaffen“. Und für alle, die sich das fragen: Ich finde einen Marathon zu laufen übrigens SO VIEL härter als einen Ironman. Mir ist bewusst, dass das physiologischer Bullshit ist, aber irgendwie findet ein Ironman in einem anderen Belastungsbereich statt (weniger hart, dafür natürlich dreimal so lang) oder vielleicht liegt es auch daran, dass ich bisher bei jedem Ironman auch viel gegangen bin, aber die letzten KM hier in Frankfurt sind wirklich purer Krieg.

Was aber sehr pusht, ich überhole gefühlt das gesamte Feld. Viele Läufer machen Gehpausen und traben nur noch ganz langsam vor sich hin. Ich überhole durchgehend, fühlt sich an, als müsste ich gleich erster sein hier!

Es bleibt spannend bis zum Schluss, aber bei KM41 habe ich dann endlich das Gefühl von „Das wird hier heute was“. Das letzte Stück geht etwas bergab und da meine ursprünglich Bestzeit ja sogar 4:36:33 war, hab ich mit meiner Zielzeit von 4:35 ja sogar einen kleinen Puffer eingebaut. Bei KM42 darf ich endlich in die Festhalle abbiegen und sehe den roten Teppich vor mir.

ZIELLINIE

Ab ins Ziel
Ab ins Ziel

In der Festhalle läuft Status Quo und 7.000 Zuschauer sorgen für eine unfassbare Kulisse. Zu „Rockin all over the world“ laufe ich mit TNW-Adler-Handzeichen über die Ziellinie. Es ist geschafft, unfassbar. Blick auf die Uhr: 4:34:53 Sekunden. Das kannste auch keinem erzählen. Der ganze Stress nur um dann auf 7 Sekunden genau das Ziel zu treffen.

Im Ziel überkommt mich die Emotion. Stehe irgendwo zwischen Fremden, versuche keinen Krampf im Oberschenkel zu bekommen und breche in Tränen aus. Keine Ahnung warum, aber da ist sie wieder: Diese absolute Überdosis Endorphin, Adrenalin oder was auch immer der Körper da ausschüttet. Ein unfassbares Gefühl, nach dem ich in gewisser Weise süchtig ist. Es ist ein sehr vollkommenes Gefühl, sich selbst mal wieder bewiesen zu haben, dass der Geist den Körper beherrscht. Es ist vielleicht die reinste Form des Stolzes auf meine eigene Leistung. Niemand kann nachempfinden, was das wirklich bedeutet, wie sich das anfühlt und was ich für Herausforderungen ich alles meistern musste, um hierhin zu kommen. Was ein Tag. Im Zielbereich gibt es erstmal einen Becher heiße Brühe für mich. Ich bin wirklich kaputt.

EINORDNUNG DER LEISTUNG

Meine bisherige Marathon-Bestleistung war ein Corona-Selfmade-Lauf in 4:36:33. Was man aber dazu sagen muss: In einem normalen Marathon-Wettkampf läuft man mehr als 42,195km. Zum einen natürlich Messungenauigkeiten, aber zum anderen eben auch einfach durch Hin- und Herlaufen auf der Strecke. Strava z.B. meint ich wäre heute nach 4:31:14 bereits fertig gewesen. Für mich zählt natürlich die offizielle Zeit von 4:34, aber es zeigt vor allem deutlich: Die Corona-GPS-Zeiten sind nicht mit regulär-vermessenen Wettkämpfen zu vergleichen!

Wenn ich die übrigen Daten (Gewicht, VO2-Max, etc.) mir so angucke in meinen Trainingsprogrammen, dann kann ich wirklich sagen, dass ich die heutige Bestzeit am ehesten im Kopf geholt habe. Ich bin einfach inzwischen sehr gut in der Lage mir selbst weh zu tun und eben über den Schmerz drüber zu laufen.

AFTERSHOW

Zur Belohnung
Zur Belohnung

Und GERADE nach einem solchen Tag des Schmerzes ist es umso wichtiger, sich selbst auch dafür zu belohnen. Wir haben heute ALLE unser Ziel erreicht. Moritz läuft eine 3:26, Tommi eine 3:56 und bei Jan-Michael ist es die 4:51 geworden. Wieder einer der von mir vielgenannten Vorteile des Ausdauersports: jeder kann gewinnen, weil jeder nur gegen sich selbst antritt!

Und zur Belohnung gibt es heute – wie sollte es in Frankfurt auch anders sein – Apfelwein und Schnitzel mit grüner Soße! Beim abschließenden Dosenbier im Hotelzimmer sind wir uns einig: Frankfurt Marathon 10 von 10, gerne wieder!

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