Mein erster IRONMAN

3:30 Uhr klingelt mein Wecker im Hotel. Ich habe in der Nacht 4 Stunden geschlafen und bin nur dreimal aufgewacht. Da hatte ich tatsächlich Sorge vor einer unruhigeren Nacht. Bevor ich in die Dusche steige, betätige ich die Kaffeemaschine. Habe hier meinen halben Hausstand mit. Kaffeemaschine, Kaffeepulver, Wasserkocher, Haferflocken, Küchenwaage, alles was man so braucht.

Mein Hausstand
Mein Hausstand

Während ich mein Frühstück bereite läuft auf youtube ein Interview mit Tagesschausprecher und Triathlet Thorsten Schröder. Denke das Interview habe ich seinerzeit sogar noch vor der ersten Triathlon-Wette gesehen. Immer wieder eine schöne Routine.
Habe mir genug Zeit eingeplant und so kann ich recht entspannt auf dem Hotelbett sitzend mir Kaffee und Haferflocken reinpfeifen. Die Routine ist die gleiche wie vor langen Trainingsradausfahrten, das gibt Ruhe.
Um 5 Uhr verlasse ich das Hotel und spaziere den Kilometer in Richtung Wechselzone. Auf der Straße treffe ich viele Triathleten und viele Betrunkene. Natürlich bringt es mich zum Schmunzeln, dass ich früher wohl noch zur anderen Gruppe gehört hätte.

Finaler Check
Finaler Check

In der Wechselzone ist bereits reges Treiben. Nur Athleten dürfen hier am Morgen rein um nochmal den finalen Check am Rad zu machen. Durch den Zaun begrüßt mich Marvins Freundin Freddy. Am Vorabend war ich bereits zur klassischen Pasta-Kindergeburtstagsparty bei Marvin & Freddy unweit der Wettkampfstrecke. Nudeln können wir alle erstmal nicht mehr sehen. Da kommt auch Marvin schon. Wir montieren unsere Trinkflaschen am Rad und prüfen nochmal alle technischen Aspekte, Reifendruck und co. Sind wir wirklich für alles gewappnet?
Während ich sogar einen Kettennieter dabei habe, falls mir bei 8000 Watt an den Hamburger Bergen die Kette abfliegt, hat Marvin sich einen Spickzettel geschrieben um in der Nervösität auch beim Reifenwechsel nichts falsch zu machen.
So, Räder sind startklar. Erstmal Neoprenanzüge anziehen. Meiner ist mir inzwischen etwas zu groß. Fürs Schwimmen suboptimal, aber fürs Anziehen dankbar. Freddys Papa kommt inzwischen dazu.
Auf dem Wett zum Schwimmeinsteig fragt er, wie eigentlich die Zeit gemessen und Marvin brüllt plötzlich laut „Scheiße“ und wühlt wie verrückt im Rucksack. Ich registriere nicht ganz, was passiert ist. Aber Entwarnung. Doch alles da. Marvin hatte den Chip zur Zeitnahme in den Rucksack getan und ihn noch nicht wieder ans Bein gemacht. Haben aber alles wieder gefunden und montiert. Wäre ja sehr ärgerlich heute hier einen Weltrekord aufzustellen, der dann nicht zählt.

Immer wieder ein schönes Motiv
Immer wieder ein schönes Motiv

Aber hat gereicht um den Puls einmal so richtig in die Höhe zu treiben. Jetzt sind wir endgültig wach. Noch einmal das klassische Foto in Neoprenanzug, Badekappe und Brille und ab in die Startaufstellung. Zusätzlich tragen wir übrigens Wegwerfschlappen vom Hotel Klosterpforte. Wäre viel zu ärgerlich, sich jetzt hier ne Scherbe in den Fuß zu jagen.
Die Profis sind um 6:15 Uhr bereits gestartet und nun starten ab 6:30 Uhr die Agegrouper im Rolling Start. Bedeutet alle 6 Sekunden gehen rund 4 Athleten auf die Strecke. Schnelle Schwimmer weiter vorne, langsame weiter hinten. Auch wenn das zeitenmäßig ehrgeizig ist, stelle ich mich direkt zu Marvin, damit wir wieder gemeinsam reinspringen. Das gehört für mich dazu. Es läuft laut Musik und der Moderator und die Volunteers sorgen für gute Stimmung. Fühle mich ähnlich wie vor Duisburg. Ja, natürlich bin ich nervös, aber ich habe keine Angst. Ich habe einfach Bock jetzt Triathlon zu machen. Eine Freundin schrieb mir am Vorabend ich möge einfach den 226km langen Zieleinlauf genießen, auf den ich ja nun schon so lange hingearbeitet habe und das ist auch das Mindset mit dem ich das hier heute angehen möchte.
Der eigentliche Eisenmann waren die 4 Jahre hierhin. Das heute ist nur die Belohnung für all das Training.
Kurz bevor wir ins Wasser springen umarmen Marvin und ich uns nochmal. „Danke für alles in den letzten 4 Jahren. War eine verdammt geile Zeit.“ Zum ersten – aber nicht zum letzten Mal – am heutigen Tage überkommt es mich. Mit Tränen in den Augen vor Rührung springe ich in die Alster und mein erster Ironman beginnt.

IRONMAN Swim begins

Und los
Und los

Die Wasserqualität der Alster hat sich seit meinem Start auf der Volksdistanz hier 2019 nicht verändert. Was für ein Dreckwasser. Sehe weder die Hand vor Augen noch die Füße meines Vordermannes. Aber schnell komme ich in einen guten Rhythmus. Beim Ausatmen nach links kann ich die anderen Schwimmer als Orientierung nutzen und komme gut voran. Nach den ersten 500 Metern schwimmen wir durch die Kennedy-Brücke auf die Außenalster und ich kontrolliere meinen Puls auf der Uhr. Auch wenn die Handgelenksmessung im Wasser sicher nicht die genaueste ist, bestätigt der Puls mein Körpergefühl: Ich darf mich ruhig noch etwas bremsen.
Beim Schwimmtraining war ich definitiv am nachlässigsten in der Vorbereitung, darum versuche ich hier mehr oder weniger einfach durchzukommen. Unter 1,5h wäre nett. Beim Triathlon-Schwimmen bekommt man übrigens immer wieder eine verpasst. Das passiert nicht aus böser Absicht, aber gerade an den Bojen ist einfach viel los und so ein ausschwenkender Kraularmschlag wirkt halt einfach, als würdest du mit Vollgas eine runtergehauen bekommen. Werde ca. 5 mal gehauen und haue selbst 3 mal. Habe also noch 2 gut!
Ungefähr bei 2000 Metern merke ich, dass ich langsam wirklich zäh wird. Wir sind inzwischen zwar auf dem Rückweg, aber dafür muss ich jetzt in Richtung Sonne atmen. Nervt. Kompetenzen wie „in beide Seiten ausatmen können“ habe ich nicht. Also weiter geht’s. Nach 3000 Metern geht es wieder unter der Kennedy-Brücke durch. Ab hier hört man die Zuschauer wieder sehr gut, was einen pusht und so ist dann nach insgesamt 3800 Metern das Schwimmen vorbei.
Am Ausstieg nehme ich bewusst etwas Tempo raus, stelle den Beinschlag ein und gewöhne meinen Körper langsam wieder daran die Waagerechte zu verlassen. In Duisburg hatte ich beim Aussteigen den Anflug eines Wadenkrampfes. Darauf möchte ich verzichten.
So, Schwimmen wäre geschafft. Auf geht’s Richtung Wechselzone.
Hamburg hat übrigens die längste Wechselzone der Welt. Gute 800 Meter liegen zwischen Schwimmausstieg und Radstart. Schnell habe ich meinen Wechselbeutel gefunden und da im großen Wechselzelt gerade kein Platz mehr ist, setze ich mich daneben auf den Bordstein und ziehe mich um. Neoprenanzug aus, was wunderbar funktioniert dank Marvins Geheimtrick mit Vaseline an den Knöcheln.
Fürs Radfahren gehöre ich zur Sockenfahrfraktion und ziehe mir auch bereits meine Schuhe an. Startnummer um, Helm und Visier noch und ab geht’s.
Auf dem Weg zu meinem Fahrrad suche ich auch noch ein Pissior auf. Dann haben wir das auch mal erledigt.
Nach insgesamt 10 Minuten Wechsel steige ich aufs Rad und fahre los.

IRONMAN BIKE

Ab aufs Rad
Ab aufs Rad

Wie in allen Disziplinen gilt auch hier: Erstmal gut reinkommen. Die ersten Kilometer geht es noch durch Hamburg unter anderem an der Reeperbahn entlang. Für die Sehenswürdigkeiten habe ich zugegebenermaßen kein Auge. Viele Kurven, schlechte Straßenqualität. Ich kann noch nicht voll reintreten. Meine Beine sind noch sehr kalt. Immer wieder gehe ich aus dem Sattel und versuche im Wiegetritt mal etwas für Durchblutung in der Beinmuskulatur zu sorgen. Nach rund 20km verlassen wir den Stadtkern.
Ich sehe die ersten Pollen fliegen und meine Nase fängt an zu laufen. In der Tasche vom Einteiler habe ich noch ein paar Lorano Pro Allergietabletten. Sollte das schlimmer werden, nehme ich die noch. Außerdem merke ich in der ersten Stunde bereits über 1,5 Liter Wasser getrunken zu haben, hatte einfach so viel Durst. Das ist kein Problem, ich muss nur dran denken, dann auch nachher auf der Laufstrecke noch genug Mineralien zu mir zu nehmen. All meine Salztabletten nehme ich auf der Radstrecke bereits.

Aero always on
Aero always on

Endlich geht es den Deich entlang. Hier sieht man nun wie an einer Perlenschnur lauter Triathleten in Zeitfahrposition die Straße entlang fliegen. Vielleicht nochmal zur Erklärung: Beim Triathlon ist die Idee des Radfahrens, dass dies „jeder für sich“ bestreitet und keine Teamarbeit erlaubt ist. Darum ist anders als bei z.B. der Tour der France ein Mindestabstand von 12 Metern zum Vordermann zu halten. Kampfrichter auf Motorrädern kommen regelmäßig vorbeigefahren und kontrollieren das. Darum sind Triathlonräder auch so konzipiert, dass man möglichst aerodynamisch draufsitzt. Und ja, ich habe mir in diesem Jahr dafür auch die Beine rasiert und ich bin sogar überzeugt, dass es schneller macht.
Am Deich dann check auf dem Tacho. Nach der Stadtrunde bin ich bei einem km/h-Schnitt von 31. Puls und auch Wattzahl sind noch im unteren Grundlagenbereich. „Watt“ ist die entscheidende Währung als Radfahrer. Meine Kurbel misst nämlich mit wie viel Kraft ich tatsächlich in die Pedale trete und so sehe ich auch unabhängig von Wind und Steigung, ob ich mich im richtigen Intensitätsbereich befinde.
Also, Blinker raus, linke Spur und hochschalten. Mein Ziel wäre jetzt mal eine Zeit lang über 200 Watt zu fahren und ordentlich Strecke zu machen. Ist aber gar nicht nötig. Mit irgendwas zwischen 180 und 200 Watt fliege ich an einem nach dem anderen vorbei. Auf den Startnummern der Athleten sind die Landesfahnen abgedruckt. So realisiere ich einmal mehr wie international so ein IRONMAN ist. Würde schätzen maximal die Hälfte der Starter ist aus Deutschland, wirklich sehr viel internationales Publikum. Alter, macht das Bock. Und ich weiß: Eigentlich bin ich gerade noch auf dem Stück mit Gegenwind.
Wichtig ist natürlich beim Radeln in einem guten Flow zu sein. Mein dauerhafter Ohrwurm ist „Dicht im Flieger“. Danke mindsquare dafür! Ja, ja, ich sitz schon wieder dicht in ’nem Flieger Alles egal, denn der Bass knallt brutal
Beim Wendepunkt bei Kilometer 54 höre ich die Zeitmessmappe piepen. Ein schönes Gefühl zu wissen, dass gerade bei vielen Freunden eine Pushnachricht auf dem Handy in der IRONMAN-Tracker-App erscheint und sie sehen, dass ich gut vorwärts komme.
Und – was soll ich sagen – der Rückweg mit dem Rückenwind ist einfach noch geiler. Ich bin etwas überrascht mit welcher geringen Intensität ich hier wirklich problemlos alle überhole. Und mal für alle die mich für bescheuert halten, aufgrund meines 8.000€-Canyon-Rades: Das ist hier wirklich noch nicht die Speerspitze des Equipments. An mehreren Athleten mit Scheibenrad, Aero-Socken und gefühlten 2 Meter langen Aerohelmen fahre ich vorbei. Wirklich viele davon knacken die 10.000 € mit ihrem Rad. Egal, der dicke Troostiboy ist trotzdem schneller. Ich bin richtig euphorisiert.
Ich denke tatsächlich kurz „Weiß nicht, was die immer alle haben. Ironman ist doch total einfach.“ Ich muss lachen über meine eigene Überheblichkeit und habe mal wieder Tränen in den Augen. Aber gut, darf ja auch mal Spaß machen. Gerade auch, weil ich mir bereits sicher bin, dass der Tag noch andere Seiten haben wird.
Schnell bin ich wieder in der Hamburger Innenstadt und ärgere mich über Kopfsteinpflaster und Schlaglöcher. Ich hab jetzt natürlich keine anderen Ironman-Radstrecken zum Vergleich, aber mehrere Profis sagen nachher im Interview, dass sie die Radstrecke deswegen als undankbar empfanden. Naja, ich fands geil und ehrlicherweise ist ein bisschen Schlagloch-Hindernisfahren im Oberlenker auch eine schöne Abwechslung für den Kopf.
Nach 2h und 43 Minuten ist die erste Radrunde für mich rum. Am Wendepunkt höre ich jemanden laut „Troosti, gib alles!!!“ brüllen und bin mehr als verwirrt. Waren Freunde von Marvin, die dankenswerter Weise auch mich angefeuert haben. Ich bin da immer völlig verpeilt. Sollte mir an dem Tag noch häufiger passieren.

Runde 2

33,1 km/h im Schnitt, 175 Watt und 120er Puls im Schnitt bis hierhin. Also von Daten her im Bereich einer gemütlichen Grundlagenausfahrt. Wäre das jetzt eine Mitteldistanz und ich müsste hintenraus nur noch einen Halbmarathon laufen, wäre das der Zeitpunkt, wo ich mir nochmal zwei Koffeingels nehmen würde und auf der zweiten Radrunde richtig Alarm machen. Aber wir haben heute ja noch einen etwas längeren Lauf vor uns. Darum, ruhig noch etwas rausnehmen, genug essen und bei jeder Verpflegungsstelle sich vernünftig versorgen.

Langsam wirds zäh
Langsam wirds zäh

Nach 120km tuen mir auch langsam die Füße weh und ich muss Pipi. Außerdem realisiere ich zum ersten Mal, wie krass die Sonne den ganzen Tag schon ballert. Es ist inzwischen 12 Uhr mittags, 25 Grad und wirklich praller Sonnenschein. Eingecremt bin ich nicht. Mein Nacken fühlt sich bereits verbrannt an. An der nächsten Verpflegungsstelle lasse ich mir zwei Wasserflaschen angeben, die ich mir komplett über den Anzug schütte um mich runterzukühlen. Damit hätte ich vermutlich vorher schon anfangen sollen.
Die zweite Runde beende ich mit einem Schnitt von 31,9 km/h, 158 Watt und 121er Puls. Das bedeutet insgesamt eine Radzeit von 5Stunden und 35 Minuten. Ich hätte vorher niemals gedacht, dass ich so eine Zeit mit so wenig Watt erreichen kann. Bin froh so effizient durchgekommen zu sein. Wobei man natürlich sagen muss, ich habe bereit 5.181 Kalorien heute durchgejagt und das vor dem abschließenden Marathon. Nach dem Abstellen meines Fahrrads erwische ich im Wechselzelt bei dem Gedanken „Reicht jetzt ja eigentlich auch. War doch ein nettes Tag bisher.“
Aber das positive: Es geht mir jetzt auch nicht anders als nach den Ausfahrten auf Mallorca. Ich bin bisher wirklich sehr gut durch den Tag gekommen. Im Wechselbeutel habe ich ein neues Paar Socken. Jan-Frodeno-Socken der Firma Ryzon, die ich im vergangenen Jahr von einer Generation mindsquare-Trainees geschenkt bekommen habe. So muss ich grinsen und fühle mich unterstützt, weil ich ja die Trainees „dabei“ hab.

Jetzt nur noch ein Marathon

Und los!
Und los!

So, nochmal ans Pissoir, Mütze auf, Sonnenbrille an und ab geht’s. Meine Uhr misst den ersten Kilometer falsch, ich ignoriere das und lasse mir erstmal nur den Puls anzeigen. Erstmal ankommen hier. Nicht einmal denke ich das Wort „Marathon“. Ich laufe jetzt einfach etwas und dann sehen wir weiter. Total egal, dass das 42,195km sind. Am Jungfernstieg kommt mir die Profi-Athletin Laura Philipp entgegen. Sie wird in 3 Minuten mit Weltrekordzeit auf der IRONMAN-Strecke als neue Europameisterin bereits ins Ziel laufen. Wahnsinnige Leistung. Für mich geht’s erst los. An der ersten Verpflegung gönne ich mir TUC-Kekse und Cola. Kurz vor der Kennedy-Brücke steht Freddy mit Marvins Freunden am Streckenrand. Übers Megaphon gibt es laute „Troosti“-Sprechchöre. Euphorisiert laufe ich – wie es sich gehört – viel zu schnell an. Die ersten 4km laufe ich mit 5:49min/km im Schnitt, was 10 Sekunden pro Kilometer schneller ist als mein Halbmarathon beim Halb-IROMAN in Duisburg. Also ruhig mal etwas rausnehmen und an den Verpflegungsstellen gut trinken.
Viele Zuschauer feuern einen an. Die Vornamen auf den Startnummer eignen sich zum personalisierten Anfeuern.
Irgendwie schneller als erwartet ist die erste Runde auch schon bald rum. Auch Freddys Eltern stehen am Streckenrand und feuern mich mit „Troosti“-Rufen an. Bin überrascht, da die an andere Stelle stehen als Freddy und co und ich natürlich sonst nur mit „Alexander“ angefeuert werde. Freut und pusht umso mehr. Kurz vorm Jungfernstieg geht es nochmal eine Schleife um den Gänsemarkt. Hier bekommt man jede Runde ein andersfarbiges Armband, welches quasi zur Kontrolle dient, damit man nicht schon auf Autopilot nach einer Runde ins Ziel rennt.

Die Kulisse ist traumhaft
Die Kulisse ist traumhaft

Am Jungfernsteig sehe ich aus weiter Ferne einen Zuschauer mitten auf der Strecke auf einer Verkehrsinsel rumturnen und mir wild zuwinken. Denke „Gut, irgendein Idiot halt, sieht ein bisschen aus wie Tim, lustig.“ Aber als ich dann am Streckenrand ein „Troosti“-Schild sehe werde ich skeptisch. Tatsächlich sind völlig überraschend meine Freunde Tim, Alissa, Maike, Cedric und Jessi aus Bielefeld da und feuern mich an. Ich laufe grinsend vorbei und denke „Mensch, was für ein Zufall, da sind die wohl ausgerechnet dann hier in Hamburg unterwegs, wenn ich den IRONMAN mache, das ist ja witzig.“ Erst ein paar Meter später kommt mir der Gedanke „Oder, die sind tatsächlich meinetwegen hier“. Kurz drauf komme ich das erste Mal an der Ziellinie vorbei. Hier biegt man die ersten dreimal links ab auf die nächste Runde bevor es ins Ziel geht, aber man kann schon etwas Zielatmosphäre erahnen. Über dem Zielkanal hängt ein riesiges Transparent „HAMBURG SAYS MOIN! Hands up! Scream! Laugh! YOU ARE AN IRONMAN“, man sieht bereits den Zielteppich, die Scheinwerfer und den Nebel und ich höre wie die Moderatoren bereits Finisher mit den Worten „YOU ARE AN IRONMAN“ über die Ziellinie schieben. Ich bin seit 8,5 Stunden unterwegs und es sind auch noch über 30km, aber das erste Mal heute realisiere ich, dass auch ich dieses Ziel erreichen werde. Und ich werde das nicht alleine tun, sondern meine Freunden sind spontan vorbeikommen um mit mir zu erleben, wie ich mir diesen Lebenstraum erfülle.
Jetzt weiß ich auch, warum man so überdimensionierte Sportbrillen beim Laufen trägt. Den nächsten Kilometer weine ich komplett durch. Gefühlt gehen mir all die Jahre durch den Kopf und wie jeder in gewisser Weise Teil davon war. Tim war sogar 2019 beim Sprint-Triathlon selbst am Start. Alissa ist unzählige Male in den frühen Morgenstunden 2018/19 mit ins McFit gekommen. Von Maike habe ich bergab wandern gelernt. Jessi hat 2019 schon angefeuert und begleitet mich und Flo gelegentlich beim Laufen. Außerdem versucht sie mich bis heute von mehr Rumpfstabilitätstraining zu überzeugen. Ja. Sollten wir mal machen. Und selbst Cedric war mal als morgendliche Schwimmbegleitung dabei, auch wenn ich mir unsicher bin, ob die Kippe am Beckenrand tatsächlich ins Intervalltraining passt 😉
Viele glauben, dass das letzte halbe Jahr wohl der härteste Teil des Vorbereitung war. Und klar, ich hab schon auf viel verzichtet, habe mir das mindsquare-Sommerfest alkoholfrei gegönnt, jedes Wochenende wirklich ausschließlich Triathlon gemacht und bin gerade auch im Winter häufig einfach bei unendlichem scheiß Wetter laufen gewesen. Aber diese 4 Jahre sind nur als Ganzes zu sehen. Und irgendwie war das erste Jahr das schwerste.
Völlig in Nostalgie versunken und nach wie vor etwas schluchzend erreiche ich Kilometer 14. Bis hierhin bin ich sauber durchgelaufen mit einer Pace von 6:15min/km und noch kommt der erwartete Mann mit dem Hammer. Zum Einen meldet sich mein Magen. Ich habe echt kein Bock auf ein Dixieklo. Aber – mindestens genauso bedenklich – ich habe nun ernsthaft Sorgen vor einem Sonnenstich. Es ist nach wie vor pralle Mittagssonne und über 25 Grad. Jeder Läufer kennt das Gefühl im Sommer, wenn du plötzlich merkst, wie die Hitze in deinem Körper steht und auch der Schweiß mit kühlen nicht mehr nachkommt. Mein kompletter Rennanzug ist voller Salzkruste, ich habe Sonnenbrand im Nacken und auf den Armen und fühle mich, als hätte ich Fieber.

Jetzt geht es erst richtig los

Langsam wird es echt hart
Langsam wird es echt hart

Jetzt ist die wichtigste Maßgabe: Sicherstellen, dass wir ins Ziel kommen. Gehpausen sind nun ausdrücklich erlaubt, ich trinke die nächste Stunde nur Salzwasser und dusche mich in jeder Verpflegungsstelle komplett ab. Bis zur Halbmarathonmarke habe ich mich gut erholt, aber nun ist natürlich die Luft (und vor allem Energie) erstmal raus. Bei meinen Supportern mache ich eine kurze Pause. Mia Julia läuft aufm Handy von Tim. Na perfekt, das pusht.
Die gute Nachricht ist, mein Magen hat sich langsam wieder erholt. Traue mir nun auch wieder Cola und Energiegels zu. Und – ich hasse es wirklich das zu sagen – aber diese sündhaft teuren Maurten-Energie-Gels mit knapp 4€ pro Gel sind wirklich das verträglichste, was es gibt. Ich hasse es, das zu sagen, aber das wird jetzt meine Stammmarke. Maurten, sponsort mich gerne, dann schreibe ich irgendwas netteres, aber es ist einfach frech, dass eure Gels so teuer und so gut sind.
Ich weiß inzwischen, ich werde nicht schneller als 12h ins Ziel kommen und ich möchte auch nicht langsamer als 13h ins Ziel kommen, darum wechseln sich laufen und gehen immer ab, so dass sich meine Kilometerzeiten irgendwo bei 7:30 einpendeln. Zwei Pissior-Besuche sind auch noch drin. Irgendwann treffe ich kurz vorm Wendepunkt Marvin, der rund eine Runde Vorsprung hat. Kurze Frage „wie geht’s Dir?“. Marvins Magen hat auch aufgegeben. Vermutung zu viel Alsterwasser geschluckt zu haben liegt irgendwie nahe. So joggt er sich von Dixie zu Dixie.

Irgendwie immer weiter
Irgendwie immer weiter

Die Laufrunde beim IRONMAN Hamburg lässt sich wirklich in zwei Teile unterteilen, die völlig unterschiedlich wahrgenommen werden. Spätestens ab Runde 3. Es gibt die 3km in der Innenstadt, zwischen Kennedybrücke und Rathausmarkt. Hier sind viele Zuschauer, viel Musik, hier laufen die Beine wie von selbst.
Und dann gibt es die 7km die Außenalster entlang. Hier zeigt die Ironmandistanz ihr wahres Gesicht.
Hier wird es hässlich. Sehe mehrere Athleten sich übergeben oder wirklich kreidebleich ins Dixie-Klo stürmen. Marvin sieht sogar jemand, der einfach umkippt und von Sanitätern abtransportiert wird. Von 2700 Starten kommen heute 900 nichts in Ziel. Ich weiß nicht, ob das viel oder wenig für einen IRONMAN ist, aber „jeder dritte“ überrascht mich schon.
Am Ende von meiner Runde 3 treffe ich nochmal Marvin, der ja jetzt kurz vorm Zieleinlauf ist. „Genieß deine letzte Runde“ „Genieß deinen Zieleinlauf“. Wir umarmen ums nochmal kurz.

Letzte Runde IRONMAN

Die letzte Runde erlebe ich wie in Trance. Ich bin völlig leer. Nicht nur energetisch, auch irgendwie emotional. Ich bin inzwischen 12h unterwegs, genau wie die Leute um mich herum. Kaum einer läuft noch, viele gehen. Das Publikum ist großartig, aber ich nehme kaum mehr etwas war. Ich habe auch wirklich wenig Erinnerung an die letzte Runde. Ich weiß noch, dass ich bei Kilometer 40 dann merke, dass ich eine unfassbar große Blase unter dem rechten Fuß habe. Überlege sogar den Schuh auszuziehen. Aber so einen Quatsch mache ich jetzt auch nicht.

Mit toten Augen und leerem Blick geht es nach 12h 43min ins Ziel
Mit toten Augen und leerem Blick geht es nach 12h 43min ins Ziel

Letzte Verpflegungsstelle, Gänsemarktschleife und ab ins Ziel. Viele Leute brüllen „Troosti“, aber ich reagiere gar nicht mehr. Mein Zieleinlauf sieht ungefähr so spektakulär aus, wie wenn ich an einem Dezembermorgen nach dem Brötchen holen vor der Haustür einjogge. Im Ziel reiße ich weder die Arme hoch noch lache ich, ich lasse mir einfach nur mit gesenktem Kopf die Medaille umhängen und es ist vorbei. „Alexander Troost, You are an Ironman“
Im Ziel ist aller Schmerz weg. Die Euphorie kickt. Im Zielbereich gibt’s warme Duschen. Ich gehe noch mit meinen Supportern was essen und belohne mich mit Pilsbier und Aperol, Marvin fällt schnell ins Bett. Wir haben es tatsächlich geschafft. Unglaublich.

Was bleibt?

WE ARE IRONMAN
WE ARE IRONMAN

Was ist mein Fazit aus diesem ganzen Projekt? Ein IRONMAN zu machen ist definitiv kein einmaliges Ereignis. Es ist eine lebensverändernde Maßnahme. Die Frage ist nicht, möchte ihr einen IRONMAN machen, sondern ob ihr ein IRONMAN werden wollt. Und was das bedeutet ist wieder ein bisschen wie bei Cops und Prostituierten. Das versteht nur, wer er selber mal gemacht hat. 😉

Wie geht’s meinem Körper?

3 Tage später habe ich durchaus noch etwas Muskelkater, aber es ist weniger schlimm als erwartet. Nachm Hermannslauf war schlimmer.
Mein rechter Fuß hat eine recht große Blase, das soll aber vorkommen nach 42,195km laufen.
Sonnenbrand ist wieder ganz gut abgeklungen.
Mein Oberkörper ist noch etwas gerötet, denke mal das kommt vom vielen Schwitzen in der gebückten Aeropositionen, wodurch die Haut gereizt wird.
Zwei Tage lange hatte ich Fieber. Das hatte ich damals nach der 300km-Radausfahrt auch. Mein Körper hat Sonntag knapp 12.000 Kalorien verbrannt. Da wird man einfach zum Heizkraftwerk.
Und außerdem – der definitiv dämlichste Fehler – ich hatte in den Taschen meines Rennanzugs (befinden sich am Rücken) ja Salztabletten und Allergietabletten. In so klassischer scharfkantiger Tablettenverpackung. Das ist unfassbar dumm so eng am Körper zu tragen, wenn den gesamten Tag über knapp 13h da in wiederkehrende Bewegung Reibung entsteht. Kurzum: Habe da recht tiefe Schürfwunden den Rücken entlang. Kann mir nicht erklären, warum ich die im Wettkampf nicht gespürt habe und werde definitiv nie wieder etwas im Rennanzug transportieren.
Aber – das muss ich auch gesehen – ich konkretisiere bereits meine Pläne für eine Triathlon-Langdistanz im Jahr 2023.
Am liebsten wäre mir im fränkischen Roth, wo in den 80ern der erste deutsche IRONMAN stattfand. Dort sind Plätze aber schwer zu kriegen. Alternativen wären wohl Frankfurt, Kopenhagen oder ähnliches. Ich halte Euch auf dem Laufenden 😉

Danke

Und weil ich gar nicht genug Danke sagen kann, mache ich es auch noch einmal an dieser Stelle. Neben meinen Freunde danke ich auch allen unbekannten Supportern, die mir gerade auch in den letzten Tagen viel auf soziale Medien geschrieben haben, dass sie mich schon länger verfolgen und mir alles Gute wünschen. Vielen Dank dafür, das pusht sehr!
In aller erster Linie aber 1000 Dank an Marvin, Freddy, Tim, Alissa, Maike, Cedric, Jessi, Timo, Hendrik, Flo, Philipp, Pascal, Sebi, Nils, Jakob, Lara, Caro, Lukas, Bela, Michael, Alex, Simon, Andi, Judith, Philipp, Heinrich, Dörte, Mathias, Dominik, Chiara, Michi, Daniel, Benno, Jenny, Lisa, Nina, Timm, Marie, Ferdi, Patrick, Domi, Patrick, Yannick, Jonas, Moritz, Robin, Tom, Stefan, Daniel, Lena, Kathrin, Simon, Björn, Ingo, Dan und Jan . Ich werde Euch das niemals vergessen, denn ohne Freunde wie Euch hätte ich das nie geschafft.

4 Kommentare

  1. Mega cooler Bericht Troosti,
    habe dich in der App am Strand verfolgt und mich schlecht gefühlt, weil ich den ganzen Tag nur auf der faulen Haut lag.
    Durch die Starter Tage und deinen Berichten hier habe ich mich auch Mal überwunden und mir ein Gravelbike geholt.
    Bist die beste Motivation, wenn man weiß wo du gestartet bist.
    Freue mich auf das Trainee.

    Viele Grüße und Glückwunsch!
    Leonel

  2. Sehr schöner Bericht!
    Habe mich in vielen Situationen wiedergefunden, auch sehr ähnliche Gedankengänge gehabt. Fragte mich lange, ob ich wirklich der einzige bin, der sich über den teils schlechten Straßenbelag auf der Straße aufregte. Danke für die Bestätigung (Das Feld ist sogar noch internationaler, ca. ein drittel aus Deutschland, Rest international. Auf endurance-data sind einige interessante Statistiken zum Event)

    Glückwunsch zum Finish! Vor allem die zweite Marathonhälfte ist brutal. Sehr gut durchgekämpft.
    Alles gute zur nächsten Langdistanz, hoffentlich klappt es mit Roth

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