Samstag, 6.7.2019, 04:45 Uhr – mein Handywecker klingelt. Nur knapp 5 Stunden geschlafen, aber trotzdem sofort hellwach.
Duschen zum wach werden, eine Cola und 2 Bananen frühstücken und ab geht’s. Richtig Hunger habe ich eh nicht, nachdem ich gestern mein Lebendgewicht in Nudeln gegessen hab.
5:30 Uhr treffe ich mich mit Sebi und Tim vorm Hotel, wir schieben unsere Räder zum Bahnhof und treffen auf den Rest. Insgesamt sind wir 7 Starter und 5 Supporterinnen.
06:00 Uhr
Erster Schritt ist jetzt der Check-In an der Wechselzone am Ballindamm. Hier lasse ich jetzt also Fahrrad, Radfahrequipment, Laufschuhe und co zurück und gehe dann in Badehose und Fleecejacke in Richtung Schwimmstart. Außentemperatur 14 Grad. Mir ist kalt.
Wenn ich schon nicht der sportlichste unserer Truppe bin, dann wenigstens der beste Theoretiker. Sämtliche Anweisungen, Regelwerke und sonst was kann ich quasi mitsprechen und diene unserer Gruppe als Souffleur bei wichtigen Fragen. Kann außerdem auf 8 Stunden Erfahrung aus der Iron-Man-
Übertragung zurückgreifen.
Andere haben sich da weniger gestresst. „Häh? Warum schwimmt Ihr alle mit dieser albernen Badekappe, die im Starterbeutel war?“, fragt uns Flo. Weil die Pflicht ist. Ersatz ist aber schnell besorgt. Radhelm haben Gott sei Dank alle.
Vor dem Vorstartbereich das erste Gruppenfoto. Mit Badekappe sieht einfach jeder lustig aus. Es ist eine schöne Stimmung zwischen Nervösität und Albernheit bei uns. Der „Vorstartbereich“ ist übrigens nichts anderes, als eine Hommage an jedes Clubhotel auf den kanarischen Inseln. Hier stehen nämlich zwei „Sportspaßexperten“ und nötigen alle Starter zu ein paar lustigen Aerobic-Aufwärm-Übungen.
7:00 Uhr
Wir gucken uns den ersten Start um Punkt 7 vom Alsterrand aus an und müssen dann auch selbst in den Vorstartbereich. Alle 8 Minuten starten hier nun 4 Stunden lang rund 150 Teilnehmer, so dass wir auf eine Gesamteilnehmerzahl von knapp 5000 Startern an dem Tag kommen.
Die Quote von Neoprenanzügen ist erschreckend hoch, 18 Grad Wassertemperatur sind gemeldet. Ich habe nur eine Triathlonhose (Mischung aus Radlerhose und Schwimmshort) ins Feld zu führen. Noch entspannter sieht das ganze nur Nils, der seine gelbe Calvin Klein Badeshorts trägt, mit der wir unlängst noch zusammen im Bierkönig waren. Wahren Style kann man nicht kaufen.
Auch wir müssen rumhampeln zu komischer Musik. Ich fühle mich unwohl. So, noch fünfmal in die Hände klatschen und ab geht’s Richtung Wasser. Noch traut sich keiner so richtig rein. Nils fühlt mit dem Fuß einmal vor. „Ah, geht eigentlich“, sagt er und springt rein, guckt panisch und ergänzt: „Geht doch nicht“. Sei es drum, in zwei Minuten ist der Start. Ich springe auch rein. Es ist arschkalt, aber tatsächlich nicht so schlimm, wie ich dachte. So, an der Startlinie festhalten und der Countdown beginnt.
07:16 Uhr
Auf die Sekunde genau ertönt unser Startsignal und mein Körper ist sofort voller Adrenalin. Ich vergesse quasi zu starten. Kein Problem, schnell erwischt mich der erste Kraulbeinschlag im Gesicht und auch mir wird klar, dass es los geht. Schwimmstart ist einfach nur purer Krieg. Ich hatte mir vorgenommen Brust zu schwimmen, mangels Platz ist es aber immer wieder mehr eine Art Hundeschwimmen. Außerdem werde ich viel geschlagen und getreten. Mein Körper pulsiert. Mir kommt hier zu Gute, dass beim Schwimmen ein athletischer Körper nicht so wichtig ist und ich zumindest in der Theorie weiß, wie Brustschwimmen funktioniert. Kann zwei aus unserer Truppe sogar hinter mir lassen und bleibe Marvin bis zur zweiten Boje direkt an den Füßen. Vom Ufer höre ich unsere Supporterinnen meinen Namen rufen. Das pusht ordentlich. Jetzt noch durch den völlig dunklen Tunnel unter der Reesendammbrücke schwimmen und dann sehe ich den Ausstieg schon fast. Die 0,5 km Schwimmen erlebe ich wie im Rausch. Am Ausstieg helfen einem Volunteer wieder auf die Beine. Erst habe ich das Gefühl, nicht mehr laufen zu können. Legt sich aber nach 2 Schritten. Kurzer Blick auf die Uhr: Wow, unter 14 Minuten für die Schwimmstrecke. So gut war ich nicht mal im Schwimmbad. Immer noch voll im Rausch sprinte ich in Richtung Wechselzone, wieder angefeuert von unseren Supporterinnen.
Wir haben uns ja klugerweise den Triathlon mit der längsten Wechselzone der Erde gewählt. Somit laufe ich rund 800 Meter bis zu meinem Fahrrad und merke bereits völlig am Arsch zu sein. Kurzer Blick auf die Pulsuhr: über 170. Ok, wir müssen hier mal vom Vollgas runter, sonst wird das ein kurzes Gastspiel. Ich freue mich aufs Radfahren. So, mit meinem Gladbachhandtuch mich einmal kurz oberflächlich abtocken, troostiboy-shirt an, Socken, Rennradschuhe, Helm. Das wars, oder? Wir sind so dicht beieinander, dass ich alle meine Mitstarter in der Wechselzone noch antreffe. Wahnsinnig gutes Gefühl, sich hier gegenseitig nochmal weiterhin viel Erfolg wünschen zu können.
07:38 Uhr
So, Rad bis zur grünen Linie schieben, aufsteigen und ab geht’s. Erstmal geht es bergab in den Wallringtunnel. Irgendjemand überholt mich und brüllt „Troostiboy, gib alles“. Bis heute ungeklärt, wer das war, aber danke für den Support.
Am Streckenrand sehe ich den ersten Teilnehmer mit technischem Defekt. Das sind noch meine beiden großen Sorgen: Stürze und technische Defekte. Bitte keinen Platten. Es ist Hamburger Sommer, 15 Grad und Regen, deshalb trete ich nicht voll durch. Kein Bock mich zu maulen. Radfahren ist meine Wohlfühldisziplin. Mein Drahtesel ist mir vertraut und so pese ich durch Hamburg. Langsam realisiere ich, dass ich tatsächlich gerade einen Triathlon absolviere. Abgefahren.
Die Strecke führt die Reeperbahn entlang. Ein Besoffener pöbelt vom Straßenrand in meine Richtung, was denn die Scheiße soll, er wolle über die Straße. Er übergibt sich fast beim Brüllen. Ich muss lachen. Hätte mir jemand vor 1,5 Jahren erzählt, dass ich mal mit Flo, Nils, Marvin, Sebi, Tim und Jakob in Badehose morgens um 7 Uhr über die Reeperbahn eiere, hätte ich gedacht: „Mensch, muss ein geiles mindsquare-Sommerfest gewesen sein.“ Ich grinse.
Kurz vor Ende der ersten Runde höre ich eine Fahrradklingel von hinten. Das muss Nils sein. Der hatte ursprünglich ja sogar angekündigt, mit Korb am Fahrrad zu fahren. Nils überholt mich und wir wünschen uns erneut viel Spaß. Kurz drauf kommt mir Flo entgegen und brüllt „Troostiiiiii, durchziehen!“. Er ist schon auf Runde 2.
So, jetzt bei der 180 Grad Wende bloß nicht aufs Maul legen, die Supporterinnen jubeln mir erneut zu,
und ab geht’s wieder in den Tunnel.
Mit jedem Kilometer werde ich zuversichtlich, dass ich mich heute ja vielleicht doch nicht aufs Maul lege, und somit das Ganze hier wirklich zum Ende bringe. Noch einmal den Hügel da hoch, Reeperbahn fahren und wieder die Elbe entlang zurück Richtung Innenstadt. Der Regen nervt, ich habe nasse Füße, aber ich bin froh, dass alles klappt.
Beim Absteigen vom Rad rufen die Mädels „Troosti, nur noch Laufen und dann hast Du es.“ Das stimmt. Jetzt kann eigentlich nicht mehr viel passieren, selbst wenn ich nun einfach 5 km gehe, ich werde es wohl auf jeden Fall schaffen. Oder?
08:26 Uhr
Rund 350 Meter laufe ich mit meinem Rennrad bis zum Wechelstand. Überpace mal wieder völlig und dazu ist das Laufen in meinen Rennradschuhen auch echt stressig.
In der Wechselzone treffe ich Nils, der bietet sogar vorm Loslaufen an mir den „Pacemaker“ zu machen um sicherzustellen, dass ich mein Ziel von unter 2 Stunden erreiche. Ich bedanke mich für das Angebot, möchte den Wettkampf aber alleine zu Ende führen und verabschiede mich mit einem liebevollen „Hau ab, wir sehen uns im Ziel“.
Danke nochmal für das Angebot, aber ich schätze an Ausdauersport so unfassbar sehr, dass ich ihn mit mir selbst ausmachen kann. So, Rad ist abgestellt, Helm weg, Laufschuhe an und Startnummer umdrehen. Oh, die löst sich fast. Schnell MacGyver-Artig wieder festgemacht und weiter geht’s.
Erst nochmal 600 Meter durch die Wechselzone und ab auf die Laufstrecke. Ich merke richtig am Arsch zu sein. Grundlagenausdauer gibts bei mir noch nicht. Laufen war sowieso meine Angstdisziplin. Den Verpflegungsstand nach weiteren 500 Metern nehme ich als dankbare Einladung ein paar Schritte zu gehen und mal zwei Becher Wasser zu trinken. Jemand Fremdes überholt mich, packt mich an der Schulter und brüllt „Zieh durch, du schaffst das“. Na gut, wenn er das sagt.
Unter der Kennedybrücke treffe ich einige Mitstreiter. Jakob, Tim und Marvin haben den Wendepunkt bereits hinter sich und kommen mir in entgegengesetzter Richtung entgegen. Perfekte Gelegenheit, sich nochmal anzuschreien und ein kurzes Highfive zu geben. Hatte ich erwähnt, dass ich an dieser Sportart hart feiere, dass man seine Mitstreiter häufiger mal trifft? Es geht die Alster entlang und durch ein paar Nebenstraßen bis zum Wendepunkt. Ich nutze die Streckenabschnitte in den Nebenstraßen immer wieder um ein paar Meter zu gehen. Habe inzwischen im Gehen einen Puls wie sonst im Sprint. 5km laufen schaffe ich inzwischen eigentlich ganz gut, aber an so einem Wettkampftag ist eben doch alles anders. Zwei Becher Wasser und n Iso Drink an der Verpflegungsstelle beim Wendepunkt geben wieder neue Kraft. Fortwährend rechne ich anhand der Daten auf meiner Uhr und der verbleibenden Kilometer aus, ob ich mein Ziel von „unter 2 Stunden“ noch erreichen kann. Auch wenn nicht, das Ding hier zu Ende zu bringen wäre zweifelsohne mein größter sportlicher Erfolg seit dem Gewinn der Nettetaler Fußballstadtmeisterschaften mit den Bambinis von Union 08 Breyell im Jahre 1994, aber trotzdem wäre es ja noch geiler, wenn das klappt.
Zeit sagt, müsste klappen, wird aber knapp.
Wieder unter der Kennedybrücke durch und die Alster entlang Richtung Jungfernstieg. Der Streckenposten ruft „Nur noch 1km“. Die Zahl der Supporter am Streckenrand wird von Meter zu Meter mehr, ich bin völlig am Ende, traue mich aber unter Beobachtung nicht Gehpausen zu machen. Hat also alles sein gutes. Ab da vorne sind es noch 500 Meter.
Ich sehe wie die Uhr an der U-Bahn Haltestelle Jungfernstieg auf 9:12 Uhr springt und versuche noch ein letztes Mal das Tempo anzuziehen. Man sieht mir von außen meinen Zustand wohl ganz gut an und so schreien mich einfach sämtliche Zuschauer, Passanten, Streckenposten und Fotografen in Richtung Ziel. Da ist der blaue Teppich. Von irgendwo höre ich wieder „Troostiiii“, kann aber die Richtung nicht zuordnen. Egal. Durchziehen.
09:14 Uhr und 38 Sekunden
Ich laufe durch die Ziellinie, höre den Zeitmesser piepen und drehe mich sofort um. „Alexander Johannes – 1:58:38“ steht auf der Anzeigetafel. Unfassbar. Es ist vorbei und ich habe es geschafft. Direkt hinter der Ziellinie stehen bereits meine 6 Mitstreiter. Wir umarmen uns gegenseitig. Ich brauche ein paar Minuten bis ich wieder sprechen kann. Wasser hilft. Schnell noch ein Gruppenbild unterm Zielbanner und dann das kostenfreie Erdinger Alkoholfrei genießen. Im Freudenrausch tauschen wir uns aus über unsere unterschiedlichen Erfahrungen. Jeder hat was zu erzählen, jeder will wissen was der andere erlebt hat. Es war ein großartig Erlebnis, abends bei Marvin im Wohnzimmer beschließen wir bei Havanna-Cola und Gin-Tonic „Machen wir nächstes Jahr wieder, dann aber die olympische Distanz“. Ich freue mich schon.
An dieser Stelle ein ganz herzliches Dankeschön an alle Unterstützer in diesem Jahr. Jeder motivierende Insta-Kommentar, jedes gemeinsame zum Sport fahren, jeder Fitnessstudiobesuch morgens um 6, jeder Apple-Watch-Wettbewerb, jedes Nachfragen wie es läuft und jede Form von positiver Bestätigung haben mir geholfen das zu schaffen. Der allergrößte Dank aber an die Mitstreiter und Supporterinnen in Hamburg. Es war ein großartiger Tag. Alleine hätte ich das niemals geschafft.
Danke auch an die, die mir in dem Jahr gesagt haben, dass ich das sowieso niemals schaffen würde und den Quatsch lieber sein lassen sollte. Das motiviert manchmal am allermeisten 😉
Bin gerade durch Facebook auf deinen Blog gestoßen. Hamburg war 2019 auch mein erster Triathlon, gleiches Ziel wie du, durchgezogen, trotz ein paar Kilos zu viel und der gruseligen, dunklen Brücke! 😉 Schöner Blogpost, hat alles nochmal ins Gedächtnis gerufen! Find ich mega, dass du die OD dieses Jahr in Angriff nimmst! Viel Erfolg dafür – und viel Spaß in Venlo. Sehen uns im Ziel! 😉