Sonntag, 1. Advent, 8 Uhr. Wie ihr vermutlich aus meinem youtube-Video wisst, darf ich meine Pre-Wettkampfroutine heute durch zwei doppelte Espressi ergänzen. Wunderbar. Schüssel Müsli, 2 Bananen und ab geht’s. Ich sammle noch meinen Kollegen Yannick im Vorort ein. Mit ihm, sowie mit Marvin, Sebi, Michael, Lukas, Alex, Simon und Guido werden wir heute bei den Bertlicher Straßenläufen in der Nähe von Herten/Recklingshausen starten. Falls Ihr Euch fragt, wie ich immer auf diese Dorfveranstaltungen komme, das Prinzip ist ganz einfach:
Marvin und ich überlegen uns einen Termin, an dem wir gerne einen Wettkampf machen würden. Dann wird gegoogelt, wo wohl an dem Termin was entsprechendes stattfinden würde und fertig. Das schöne ist, wirklich jedes Wochenende ist irgendwo irgendwas geboten. Einfach gucken, welches PLZ-Gebiet einem passt und fertig. So kommt man eben an den Heidesee-Triathlon oder auch den Haltener Seelauf (siehe kommende Termine).
Nach etwas über einer Stunde Fahrtzeit ist das Ziel in Sicht. Yannick muss kurz vorher noch eine rauchen, sicher die perfekte Vorbereitung. Da hier heute zwischen 5km und Marathon so ziemlich jede Strecke angeboten wird, ist auch das halbe Dorf abgesperrt. Mehrfach werde ich umgeleitet um schließlich von freundlichen Polizisten mitten durchs Starterfeld des Halbmarathons gelotst zu werden. Alex läuft hier heute den HM, der Rest startet mit mir bei den 10km.
Ich wusste ja aus München, dass ich theoretisch in der Lage bin auch den HM zu finishen, aber ich hab heute einfach keinen Bock mich so komplett zu zerlegen. Kann ich im Trainingsplan nicht gebrauchen.
So, parken beim Real und in der Dorfgrundschule die Anmeldeunterlagen ausfüllen. Hach, ist das schön, wenn das alles so problemlos stressfrei läuft. Der Rest trudelt langsam auch ein, Zeit noch ein bisschen rumzustehen und Blödsinn zu reden. Es ist wirklich immer eine wundervoll alberne Stimmung so kurz vor dem Wettkampf. Wie übliche brilliere ich mit angelesenem Fachwissen und Klugscheißerkommentaren. Ich bin der festen Überzeugung: Ich bin der deutsche Ausdauersportler mit der größten Diskrepanz zwischen theoretischem Wissen und tatsächlicher Leistungsfähigkeit.
Troostiboy als Orientierungspunkt
Nichtsdestotrotz wollen Guido und Yannick mich heute als „Pacemaker“ nutzen. Also sich fest an meiner Geschwindigkeit orientieren und quasi in meinem Windschatten laufen. Bereitet mir irgendwie Unbehagen, jetzt hier plötzlich die Verantwortung für die Geschwindigkeit von wem anders zu übernehmen, aber gut, verhindern kann ich’s ja nicht. Yannick und ich sehen uns in einer ähnlichen Leistungsklasse, Guido müsste theoretisch doppelt so schnell sein, ist aber die letzten 100 Jahre nicht mehr so lang gelaufen und möchte es daher ruhig angehen lassen.
So, nun können wir mal zur Startlinie. Voll der Ironie entscheide ich mich, auf Kopfhörer zu verzichten „um die Stimmung der Zuschauer besser zu spüren“. Uns wird nicht ein einziger Zuschauer begegnen. Aber trotzdem.
Los geht’s
Und da geht es auch schon los, knapp 100 Leute zählt das Starterfeld des 10km-Lauf. Die Temperatur ist um den Gefrierpunkt, so freut es mich, jetzt endlich loszulaufen und mich aufzuwärmen. Zielzeit wäre unter 1:15h, meine Uhr habe ich auf 7min25sek/KM als Ziel eingestellt und merke beim ersten Kilometer mal wieder, dass ich zu schnell starte. 6:45 als erste Zwischenzeit, also erstmal runterschalten. Es geht etwas bergauf, das ist eine gute Gelegenheit um langsamer zu werden und mich einzupendeln. Guido quatscht unentwegt neben mir und Yannick hustet hinter mir seine Zigarette aus. Eigentlich ganz schöne Laufstimmung. Klarer Himmel, Sonnenschein und gefrorener Morgentau auf den Feldern. Hier gefällt es mir.
Die nächsten KM gehen mit 7:15 im Schnitt durch. Das ist zwar etwas zu schnell, aber Puls und Körpergefühl sagen mir, das ist jetzt erstmal in Ordnung so.
Halbzeit
Zur Halbzeit bin ich laut Uhr bereits 1,5 Minuten vor der Zielzeit. Och. Das klingt gut. Einen aufgewärmten Isodrink an der Verpflegungsstelle und weiter geht’s. Guido macht den Fehler beim Trinken eine Sekunde stehen zu bleiben und merkt, danach fühlen sich die Beine wie Blei an. Habe ich beim HM in München schon gemerkt, wenn Du einmal stehen bleibst, geht Dir der ganze Flow verloren.
So langsam weiß ich natürlich, ich werde heute auf jeden Fall ins Ziel kommen und wenn es jetzt nicht mit dem Teufel zu geht, dann auch wesentlich vor meiner Zielzeit. Guido fragt mich regelmäßig, ob das Tempo passt: jo klar. Ich laufe ja so schnell wie ich möchte. Guido hält Schritt ,Yannick hinter uns.
Bei Kilometer 7 scheint Yannick seine Zigarette komplett ausgehustet zu haben und bekommt nun plötzlich Aufwind und zieht das Tempo an. Ich kann der Versuchung widerstehen und orientiere mich erstmal weiter an meiner Uhr. Keine Experimente! Mit dem Slogan hat schon Adenauer Werbung gemacht. Guido hatte ursprünglich auch mal überlegt, ab einem gewissen Zeitpunkt nochmal richtig aufzudrehen, aber wir bleiben lieber unserem Tempo treu und laufen konstant weiter.
Noch 2km bis zum Ziel, ich bin top in der Zeit, fühle mich gut, alles wunderbar. Lustigerweise nutzen uns inzwischen weitere Läufer als „Pace-Orientierungspunkt“. Zumindest als ich Platz zum Überholen machen möchte heißte es „Nee nee, bleiben sie mal genau so, das passt wunderbar“. Meine beliebte Rolle als „Windschattenspender“ kenne ich ja schon vom Münsterland-Giro. Yannick kommt interessanterweise am Horizont immer näher. Sein schnelles Tempo scheint sich zu rächen. Kriegen wir den noch? Egal, ich orientiere mich weiter an meiner Pace.
Och guck, jetzt sind wir schon am Realparkplatz, dann ist es ja gleich geschafft, Kilometerschild 9. Wirklich dankbar geht es den letzten Kilometer recht deutlich bergab. Das lässt nochmal Tempo aufdrehen. Kurz vorm Zielstadion werden wir sogar nochmal mit Namen über die Lautsprecher angesagt. Schöne Sache.
Ziiiiiiiiieh
Ähnlich wie schon in Hückeswagen, geht es zur Schlussrunde nochmal durchs örtliche Fußballstadion. Mit Guido drehe ich die letzte Runde, der Rest ist schon im Ziel und jubelt uns zu. Yannick kommt 30 Sekunden vor uns ins Ziel. 50 Meter vom Ziel bekomme ich nochmal Übermut und eröffne den Schlusssprint. Will ja nachher nicht das Gefühl haben, nicht alles gegeben zu haben. Dann ist es auch schon geschafft. 1h10min20Sekunden steht abschließen auf der Uhr. Huch, das ist dann doch wesentlich schneller als gedacht. Strava bescheinigt mir auch, dass ich im Rahmen dieses 10km-Lauf einen neuen Rekord für 5km aufgestellt hab. Ungewöhnlich. Aber gut, ich ärgere mich nicht, ob ich noch irgendwo die 20 Sekunden hätte holen können um die 1:10 zu knacken, es war ein perfekt getimetes Rennen. Zweimal unterwegs kurz unruhigen Magen, aber alles im Griff behalten können, letzten 2km nochmal bisschen Tempo geben können und sogar nochmal geschafft 50 Meter alles rauszudrücken, um mit Übersäuerungsgefühl, Schwindel und verschwommen sehen ins Ziel zu kommen. Das will man doch haben. Wun-der-bar!
Da der Rest schon fast ausgekühlt ist, wechseln wir schnell wieder ins Grundschulgebäude um uns aufzuwärmen. Einige schlagen bei Kakao und Torte zu.
Ich spare mir meinen Appetit. Mit Yannick schon am Heidesee die Tradition begründet, dass unsere Wettkämpfe am goldenen M enden. #fitandhealthy
Das war wieder ein schöner Tag. Noch am Abend planen Marvin und ich den nächsten Dorflauf. Termine findet Ihr wie immer hier auf troostiboy.de! Sei dabei!