Warum ich nicht zum Klassentreffen gehe

Ich hab dieses Jahr 10 Jahre Abitur und daher ein Klassentreffen. Stimmt beides nicht, aber wenn es so wäre, würde es ganz sicher wie folgt stattfinden.
Die Organisation übernahm natürlich Caro (Name geändert). Sie eröffnete die Facebookgruppe, fügte uns alle hinzu und freute sich „auf ein gemeinsames Wiedersehen“. Erstmal die wichtigen Dinge klären: „Wer bringt den Tomate-Mozzarella-Salat mit? Wer kann beim Auf- und Abbau helfen? Und schenken wir unserem Klassenlehrer was?“

Jeder bringt einfach was mit

Da grillen wir einfach zusammen
Da grillen wir einfach zusammen

Ich habe original noch nie irgendwo hin einen Salat mitgebracht. Ich war gerne Gastgeber für irgendwelche Kurstreffen oder Klassenfeste, dafür haben meine Eltern eine praktische Gartenhütte, aber irgendwelche Salatschüsseln mit Aufklebern mit meinem Nachnamen beschriftet mitzubringen, das war mir immer zu blöd. Daher stelle ich mich bei solchen Rundfragen prinzipiell tot. Ja, ich weiß, ist asi, aber es ist das schulbubenartige Verhaltensmuster, in das ich sofort falle, wenn ich mich in diesen Kreisen bewege. Ich bin von einer Sekunde auf die Andere wieder im Religionsunterricht Klasse 7a bei einer Lehrerin mit Doppelnamen und versuche, einer Fürbitte für die Abschlussmesse zu entgehen.
Erstmal gucken, wer uns an dem Abend bringen und abholen kann. Ich zahl ja nicht in meinem Heimatort Geld fürs Taxi, da haben wir noch immer ’ne Mutti gefunden. Danke, Frau Gahemann!
Unmittelbar nach Ankunft auf dem Schulgelände stelle ich mich dann schnell mit den drei Leuten zusammen, mit denen ich auch über die Jahre Kontakt gehalten hab. Auch in unserer Gang sind die Rollen „Dicker“, „Kippenschnorrer“, „Schönling“ und „Schwiegermuttertyp“ bis heute vertreten. Gibt es eigentlich einen Rahmencharakterplan nach dem alle Schulen dieses Landes bestückt werden? Gibt’s auch „die Bonzen“ auf Waldorfschulen? Sind auch auf Eliteinternaten mit 15 alle Punks? Bitte mal Feedback.
Am Tresen in der Aula finden dann vermutlich auch bei allen Kassentreffen dieser Erde die gleichen Gespräche statt:
„Oh, so ein Mist. Schon geschieden? Hatte das mit der Hochzeit gar nicht mitbekommen…“, „Ach, Hannoveraner Kennzeichen? Der ist also geleast und gar nicht dein Mercedes?“, „Also die Menschen in Australien sind einfach viel offener als wir Deutschen“, „Und du fühlst Dich wohl in Wattenscheid?“ – Wäre jetzt tatsächlich jemand ins Kloster gegangen, hätte bei Olympia teilgenommen, wäre Kanzler geworden oder bekannter Influencer-Blogger – das hätte ich doch schon vorher mitgekriegt.

Nochmal Schüler für einen Tag

Im Bus ganz hinten
Im Bus ganz hinten

Viel ehrlicher wäre doch eigentlich, einen gemeinsamen Schultag nochmal zu durchleben. Kann man das nicht mal als Alternative anbieten? Schön morgens 6:30 Uhr zu Hause aufstehen, checken ob Mama den Dickiespullover gewaschen hat, heimliche Kippe aufm Weg zur Haltestelle, im Bus Physik abschreiben (Letzte Reihe, is‘ klar!), im Deutschunterricht Snake spielen und Sport schön blau machen. Das wäre mal was! Da sieht man dann nämlich, wer wirklich mit’m Rauchen aufgehört hat, wer jetzt pflichtbewusster geworden ist, wer keine Schokodonuts mehr isst und wer in der Pause in der Pärchenecke knutscht!
Natürlich habe ich die Facebookgruppe und enthaltene Accounts bereits vorher zum ausgiebigen Stalking genutzt. Das sind schließlich die noch qualifizierteren Lebenslügen. Und im Grunde hat sich nichts geändert. Klar, ein paar neue Nachnamen, da wurde geheiratet, ein paar Umzüge, ein paar Kilos mehr. Das übliche. Bei mir maßgeblich die letzten beiden Dinge.

Menschen ändern sich nicht

Ich hab mich jedenfalls nicht verändert
Ich hab mich jedenfalls nicht verändert, oder?

Im Endeffekt kämpfen ja eh nur die Modelle Familie, Karriere und „ich bin jetzt bald mit’m Bachelor durch“ gegeneinander. Aufsitzmäher gegen Sportwagen. Morgens ausschlafen gegen Frau und Kinder.
Ich halte es da mit Lew Nikolajewitsch Graf Tolstoi: „Wenn Du glücklich sein willst, dann sei es.“ – Der Rest ist mir eigentlich ziemlich bums.
Da trifft es sich ganz gut, dass ich im nächsten Jahr, wenn ich tatsächlich 10 Jahre Abitur habe und ein Klassentreffen stattfindet, verhindert bin. Kann also keinen Salat mitbringen. Sonst läuft aber alles. Sorry!

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